Träum weiter, Liebling
Gabe so verbittert war.
»Jamie war erst fünf«, sagte Kristy stockend. »Er war Gabe wie aus dem Gesicht geschnitten; die beiden waren unzertrennlich. Und Cherry war einfach wundervoll. Gabe ist seitdem nicht mehr derselbe.«
Einen Moment lang fiel Rachel das Atmen schwer. Sie konnte sich kaum vorstellen, was Gabe durchmachte, und ihr Herz blutete. Gleichzeitig jedoch sagte ihr ein starkes, inneres Gefühl, dass Mitleid Gift für ihn war.
»Jemand zu Hause?«
Beim Klang von Ethan Bonners Stimme ließ Kristy das Salatmesser fallen. Sie rang nach Luft, tastete zittrig nach dem Messer und ließ es erneut fallen.
Rachel war so durcheinander von dem soeben Gehörten, dass sie einen Moment brauchte, um zu merken, wie seltsam sich Kristy benahm. Ethan war ihr Chef, und sie sah ihn fast jeden Tag. Warum geriet sie derart aus der Fassung:
Ihre Mitbewohnerin blieb ihr ein Rätsel. Edward liebte sie, und das beruhte auf Gegenseitigkeit, aber ansonsten war Kristy so reserviert, dass Rachel sich kein richtiges Bild machen konnte von der Person, die sich hinter dieser schlichten, allzeit effizienten Fassade verbarg.
Sie hatte noch immer nicht auf Ethans Ruf geantwortet, also rief Rachel ihm zu, doch hereinzukommen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Kristy tief Luft holte und sich wieder in die ruhige, reservierte Frau verwandelte, die immer so tüchtig war. Es war, als hätte es den Moment, in dem sie kurz ihre Fassung verlor, nie gegeben.
»Wir wollten gleich zu Abend essen, Ethan«, sagte Kristy, als er in der Küchentür auftauchte. »Willst du mitessen?«
»Ah, das sollte ich nicht.« Er nickte Rachel kühl zu.
Sie sah, dass er ein hellblaues Oxfordhemd trug, das sauber in einem Paar Khakihosen steckte, die rasiermesserscharfe Bügelfalten aufwiesen. Sein blondes Haar war perfekt geschnitten, weder zu lang noch zu kurz, und mit seiner Größe, den leuchtend blauen Augen und seinen feinen, regelmäßigen Gesichtszügen sah er eher aus wie ein männliches Fotomodell als ein Pfarrer.
»Ich bin bloß vorbeigekommen, um dir die Unterlagen für den Pfarrbrief zu bringen«, sagte er zu Kristy. »Du hast gesagt, du wolltest morgen früh alles zusammenschreiben, aber ich werd nicht vor vierzehn Uhr im Büro sein.«
Kristy nahm ihm die Mappe mit den Papieren ab und legte sie beiseite. »Wasch dir die Hände, während wir aufdecken. Rachel hat eine wundervolle Tomatensauce gemacht.«
Ethan hielt sich nicht lang mit geheuchelten Protesten auf, und schon kurz darauf saßen sie am Tisch. Beim Essen beschränkte er seine Konversation auf Edward und Kristy. Edward erzählte ihm begeistert, wie er heute Snuggles, das Meerschweinchen der Tagesstätte, gefüttert hatte, und Rachel erkannte, dass zwischen ihm und Ethan eine Beziehung bestand, von der sie keine Ahnung gehabt hatte. Sie war froh, dass Ethan seine feindselige Haltung ihr gegenüber nicht auf ihren Sohn übertrug.
Ihr fiel auf, dass Kristy Ethan behandelte wie einen leicht zurückgebliebenen Zehnjährigen. Sie wählte das Salatdressing für ihn aus, schüttete ihm Parmesan über seine Spaghetti und tat so ziemlich alles, außer ihm das Essen zu schneiden.
Er wiederum schien ihre Bemutterung überhaupt nicht zu bemerken, ganz zu schweigen von dem sehnsüchtigen Blick, mit dem sie ihn ansah.
So ist die Sache also, dachte Rachel.
Kristy lehnte sein Angebot, beim Abwaschen zu helfen, strikt ab. Rachel dagegen hätte diesbezüglich keinerlei Gewissensbisse gehabt, und Ethan verschwand bald darauf. Rachel schickte Edward nach draußen zum Glühwürmchen fangen, während sie und Kristy sich an den Abwasch machten.
Als Rachel den Teller zum Abtrocknen nahm, den Kristy ihr reichte, beschloss sie, sich ein wenig einzumischen. »Kennen Sie Ethan schon lange?«
»Fast mein ganzes Leben lang.«
»Ah... und ich wette, Sie sind schon beinahe ebenso lang in ihn verliebt.«
Die Schüssel, die Kristy gerade weiterreichen wollte, entglitt ihren Fingern und fiel krachend auf den Linoleumboden, wo sie in zwei saubere Teile zerbrach.
Rachel blickte hinunter. »Liebe Güte, sogar wenn Sie was fallen lassen, tun Sie das noch ordentlich.«
»Wieso haben Sie das gesagt? Das über Ethan? Was meinen Sie damit?«
Rachel bückte sich und hob die zerbrochene Schüssel auf. »Nichts. Ich bin viel zu neugierig. Ihr Liebesleben geht mich schließlich nichts an.«
»Mein Liebesleben.« Kristy stieß ein äußerst undamenhaftes Schnauben aus und warf den Spüllappen ins Wasser, dass es nur so
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