Träum weiter, Liebling
soweit es der Sicherheitsgurt gestattete, und überlegte laut plappernd, was denn nun besser wäre, Schokolade oder Vanille. Rachel hatte Kristy eingeladen, sie zu begleiten, aber Kristy hatte abgelehnt.
Wahrscheinlich fühlte sie, dass Rachel ein wenig Zeit allein mit ihrem Sohn verbringen musste. Und auch mit ihren Gedanken.
Während Edward fröhlich vor sich hinplapperte, zuckten die Bilder des Nachmittags heiß durch ihre Gedanken: der Regen, Gabes Körper, ihre eigene Schamlosigkeit. Sie hatte früher mal davon geträumt, dass es so sein könnte, mit einem Mann zu schlafen, hatte jedoch längst die Hoffnung aufgegeben, dass es ihr je passieren würde.
Beim bloßen Gedanken an ihn wurde sie heiß und unruhig. Sie sehnte sich mit einer Intensität nach ihm, die ihr angst machte, doch sie fühlte sich auch noch auf eine andere Weise zu ihm hingezogen. Sie fühlte sich von seiner finsteren Tiefgründigkeit angezogen, von seiner brutalen Offenheit und nicht zuletzt von seiner ruppigen Freundlichkeit. Er schien gar nicht zu merken, dass er der einzige in der Stadt war, der sie nicht nach ihrer Vergangenheit beurteilte.
Sie begann mit dem Gedanken an eine Zukunft zu spielen, in der Gabe ein glücklicher Mann war, schob ihn jedoch rasch wieder beiseite. Sie war zu klug, um sich in ihn zu verlieben, nicht mal in ihrer Phantasie. Zu viele Schatten lagen auf ihm. Und wenn sich diese Schatten je soweit lichteten, um es ihm zu erlauben, sich wieder zu verlieben, dann geschähe das mit einer anderen, einer sanfteren Frau, eine, über die sich die Leute nicht das Maul zerrissen, eine gebildete, höfliche Frau, die nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit verbale Schlammschlachten anzettelte.
Früher einmal hätte sie sich nicht vorstellen können, mit einem Mann zu schlafen, den sie nicht zu heiraten beabsichtigte, aber dieses verträumte Mädchen gab es nicht mehr. Sie brauchte diese herrliche Hemmungslosigkeit, diese Lüsternheit. Solange sie nicht vergaß, dass sie mit Gabe nur eine sexuelle Beziehung haben konnte und nicht mehr, was schadete es schon? Er war ihr kleines, sündiges Vergnügen, ein wenig Glück für sie, um ihr Leben erträglicher zu machen.
Das Eisfenster, das an der Seite des wie ein Zugwaggon aussehenden Petticoat Junction Cafés eingebaut war, war gut besucht, als Rachel mit Edward an der Hand die Straße überquerte. Eine Frau von etwa Mitte Dreißig, die ein Baby auf dem Arm hielt, erstarrte, als sie sie kommen sah, und sagte dann etwas zu der dunkelhaarigen Frau neben ihr. Die Frau drehte sich um, und Rachel sah, dass es Carol Dennis war.
Ihre Lippen bewegten sich, doch Rachel war noch zu weit weg, um hören zu können, was sie sagte. Die Umstehenden hörten es jedoch. Ein Kopf nach dem anderen hob sich. Rachel hörte ein Summen wie von einem Schwärm zorniger Hornissen. Das dauerte etwa fünf Sekunden, dann folgte Stille.
Ihre Schritte verlangsamten sich, und ihr Herz klopfte wie wild. Einen Moment lang passierte nichts, dann drehte ihr Carol Dennis den Rücken zu. Ohne ein Wort zu sagen, tat die junge Frau neben ihr dasselbe. Ein Paar mittleren Altersfolgte ihrem Beispiel, dann ein älteres Pärchen. Einer nachidem anderen drehten ihr die Bewohner von Salvation den Rücken zu. Es war eine altmodische Art, jemanden auszustoßen.
Sie wäre am liebsten geflüchtet, aber das konnte sie nicht. Der weite Rock ihres marineblauen Kleides flatterte in der Brise, und sie nahm Edward fester an die Hand und zog ihn näher zum Straßenverkaufsfenster. »Also, was möchtest du gern?« stammelte sie mühsam. »Schokolade oder Vanille?«
Er sagte nichts. Sie merkte, wie er zurückblieb, doch siezog ihn vorwärts, wollte den Leuten hier keine Schwäche zeigen. »Ich wette, du magst lieber Schokolade.«
Der junge Mann, der hinter dem Fenster stand, hatte einen Kurzhaarschnitt und Pickel. Er starrte sie verwirrt an.
Ein älterer Mann tauchte hinter ihm auf. Sie erkannte ihn als Don Brady, den Inhaber des Cafés. Auch er war ein Tempelanhänger gewesen. Er schob den jungen Eisverkäufer beiseite und musterte sie verächtlich. »Wir haben geschlossen.«
»Das können Sie nicht machen, Mr. Brady.«
»Bei Leuten wie Ihnen schon.«
Er knallte die hölzerne Klappe zu.
Ihr war ganz übel, nicht um ihretwillen, sondern wegen Edward. Wie konnte jemand so etwas vor einem Kind tun?
»Alle hassen uns«, flüsterte er.
»Wer schert sich schon um die?« entgegnete sie mit lauter Stimme. »Hier gibt‘s sowieso
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