Träum weiter, Liebling
verrückt. Er war zwar verrückt, aber nicht so verrückt, mit einer Frau, mit der er, so bald es ging, wieder zu schlafen gedachte, einen gemütlichen kleinen Schwatz über die Vorzüge seiner toten Frau zu halten. Im übrigen konnte er sich gut vorstellen, was für ein gefundenes Fressen seine Erinnerungen für ihre scharfe Zunge sein mochten.
Seine Schultermuskeln zuckten. Nein, das stimmte nicht. Rachel würde ihn wegen einer Menge Dinge in der Luft zerreißen, aber nicht seine Erinnerungen. Niemals. Dennoch widerstand er dem Drang, sich ihr anzuvertrauen.
Ihre Hand ruhte auf seinem Herzen, und ihr Atem strich sanft über seine Wange, als sie mit einer Zärtlichkeit, die er nie zuvor bei ihr gehört hatte, sagte: »Die anderen sind alle zu nett, um es auszusprechen, Bonner, aber du bist drauf und ‚ dran, dich in einen von diesen ichbezogenen, sich selbst bemitleidenden Menschen zu verwandeln, die keiner ausstehen kann.« Sie rieb ihn zärtlich. »Nicht, dass du nicht genügend Grund zum Selbstmitleid hast, und wenn du nicht noch dein halbes Leben vor dir hättest, wäre das vielleicht sogar in Ordnung.«
Sein Blut begann zu kochen, und eine schreckliche Wut durchzuckte ihn. Sie fühlte, wie sich seine Muskeln anspannten, und legte den Kopf auf seine Brust, um ihn zu beruhigen. Eine ihrer Haarlocken fiel über seine Lippen. Er roch ihr Shampoo, und es erinnerte ihn an Sonnenschein, und auch an einen sauberen Regen.
»Erzähl mir, wie du Cherry kennengelernt hast.«
Wieder ihr Name. Seine Wut verpuffte, und er empfand das dringende Bedürfnis, über sie zu reden, sie wieder real werden zu lassen. Trotzdem dauerte es eine Weile, bevor er herausbrachte: »Bei einem Sonntagsschulpicknick.«
Er grunzte, als sich Rachels scharfer Ellbogen in seinen Magen drückte. Automatisch hob er den Arm und machte die Augen auf.
Sie hatte sich auf seine Brust gestützt, als wäre er das bequemste Sofa der Welt, doch anstatt ihn mit einem ihrer mitleidigen Blicke, an die er sich gewöhnt hatte, zu betrachten, lächelte sie ihn an. »Ihr wart noch Kinder! Teenager?«
»Nicht mal das. Wir waren beide elf, und sie war gerade erst nach Salvation gezogen.« Er erhob sich in eine halb sitzende Stellung und arrangierte ihren Ellbogen dabei gleichzeitig so, dass er nicht mehr in seine Magengrube stach. »Ich bin rumgerannt, ohne zu schauen, wo ich hinlief, und hab ein Glas rosa Limonade über ihr Kleid geschüttet.«
»Ich wette, sie war nicht gerade begeistert.«
»Sie hat was ganz Komisches gemacht. Sie hat mich angelächelt und gesagt: ›Ich weiß, dass es dir leid tut.‹ Einfach so. ›Ich weiß, dass es dir leid tut.‹«
Rachel lachte. »Klingt, als hätte sie sich ziemlich viel gefallen lassen.«
Er merkte, wie er ebenfalls lachen musste. »Das hat sie. Sie hat immer nur das Beste von den Leuten angenommen, und ich kann dir gar nicht sagen, wie oft sie das in Schwierigkeiten brachte.«
Er legte sich wieder zurück in den Schatten der großen Leinwand, doch diesmal ließ er die glücklichen Erinnerungen an sich vorüberziehen. Eine nach der anderen kamen siezu ihm zurück.
Eine Biene summte in der Nähe, die Grillen zirpten, und Rachels sonnenduftendes Haar wehte über seine Lippen.
Seine Lider wurden schwer. Er schlief ein.
Am folgenden Abend halfen Rachel und Edward Kristy beim Auspacken. Kristys neue Zwei-Zimmer-Wohnung war klein und gemütlich, mit einem winzigen Flur und einer Einbauküche, komplett mit Deckenbeleuchtung. Die Wände schimmerten strahlend weiß, und alles roch neu.
Ihre Möbel waren am Nachmittag aus dem Lager angeliefert worden, überwiegend alte Familienstücke, die ihre Eltern nicht hatten mitnehmen wollen, als sie nach Florida zogen, und Kristy betrachtete sie voller Unmut.
So leise, dass nur Rachel sie hören konnte, sagte sie: »Ich weiß, ich hab nicht genug Geld, um mir was Neues zu kaufen, aber das hier... also, ich weiß nicht. Es passt einfach nicht mehr zu mir.« Sie stieß ein verlegenes Lachen aus. »Hör dir nur an, wie ich rede. Vor fünf Tagen habe ich mir die Haare schneiden lassen und mir ein paar neue Klamotten gekauft. Und jetzt glaub ich gleich, ich wär ein anderer Mensch. Wahrscheinlich hab ich bloß ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht nach Florida gezogen bin, so wie sie es wollten.«
»Die letzte Woche war ganz schön hart für dich.« Rachel stellte das letzte Glas ins Küchenregal, das bereits mit lavendelblauem Schrankpapier ausgekleidet war. »Und sei nicht
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