Träum weiter, Liebling
nachts gehabt hatte. Er war dann immer zu Annie ins Bett gekrochen. Er hätte auch zu Cal gehen können, aber er wollte nicht, dass sein älterer Bruder erfuhr, dass er sich fürchtete. Einmal jedoch, als er wieder zu Annie kroch, war sein großer Bruder bereits dort gewesen.
Er hörte Rachel hereinkommen und wandte sich um. Sie sah zerknautscht und wunderschön aus. Der V-förmige Abdruck auf ihrer Wange verriet ihm, dass sie von seiner Ankunft aus dem Schlaf gerissen worden war. Er nahm ihr Hemd genauer in Augenschein und war leicht irritiert. »Hast du nichts anderes zum Schlafen?«
»Wieso?«
»Weil das Cals Hemd ist. Wenn du ein Hemd brauchst, kannst du eines von meinen nehmen.« Er warf seinen Koffer aufs Bett, öffnete ihn und riss ein Hemd heraus, das zwar sauber war, aber hier und da Flecken hatte, die beim Waschen nicht mehr rausgingen.
Sie nahm es und musterte es kritisch. »Seines ist viel schöner.«
Er funkelte sie zornig an.
Sie lächelte frech. »Aber deines sieht bequemer aus.«
»Da hast du verdammt recht.«
Sie lächelte wieder, und Freude durchzog sein ödes, leeres Inneres. Er dachte, dass sie sich auch an den kleinsten Kleinigkeiten freuen konnte, auch wenn ihr das Wasser bis zum Hals stand.
In ihre grünen Augen trat ein berechnender Ausdruck, und er wappnete sich innerlich. Sie stemmte eine Hand in die Seite, eine Geste, bei der ihr Hemd noch weiter hochrutschte. Sie brachte ihn fast um und wusste es nicht mal. »Falls du erwartest, dass ich für dich koche, musst du die Lebensmittel bezahlen.«
Rachel kam auf mehr Möglichkeiten, ihr Geld zusammenzuhalten, als jeder, den er kannte, und er konnte der Versuchung, es ihr ein wenig schwer zu machen, nicht widerstehen. »Wieso sollte ich? Wahrscheinlich koche ich besser als du.«
Sie dachte darüber nach. »Aber du isst auch viel mehr, also wär‘s nicht fair, wenn ich mein Geld für dein Essen ausgebe. Wirklich, Gabe, du bist der stärkste Esser, der mir je untergekommen ist. Du isst praktisch dauernd.«
Bevor ihm eine Antwort einfallen konnte, wurde er von einer zarten Stimme unterbrochen.
»Mommy?«
Er fuhr herum und sah den Jungen in der Tür stehen. Ertrug einen neuen Schlafanzug, der jedoch so groß war, dass er an Armen und Beinen aufgerollt werden musste. Typisch Rachel, für die Zukunft vorauszuplanen.
Sie eilte zu ihm, als hätte er vierzig Grad Fieber, und als sie sich vorbeugte, konnte er den Saum ihres Höschens sehen. Der Junge warf ihm einen kurzen, rätselhaften Blick zu und starrte dann zu Boden. Gabe wandte ihm den Rücken zu und beschäftigte sich mit Auspacken.
»Komm mein Süßer«, sagte Rachel. »Ich bring dich wieder ins Bett.«
»Was hat er hier zu suchen?«
Sie drängte ihn aus dem Zimmer in den Gang. »Es ist Gabes Häuschen. Er kann herkommen, wann immer er will.«
»Es is‘ Pastor Ethans Haus.«
»Er und Gabe sind Brüder.«
»Sind sie nich‘.« Gabe hörte sie in Annies altem Nähzimmer verschwinden. Der Junge sagte noch etwas, das er nicht ganz verstand. Es klang wie ›iß doch‹, was ihm komisch vorkam für diese Tageszeit. Nun, der Junge war eben komisch, und Gabe wusste, dass er ihm eigentlich hätte leid tun sollen, aber die Erinnerungen drohten ihn zu überwältigen.
Jamie frisch gebadet im Schlafanzug. Sein kleiner schwarzer; noch feuchter Haarschopf wie er sich immer mit seinem Lieblingsbuch auf seinen Schoss kuschelte, und wie er manchmal einschlief, bevor sie zu Ende gelesen hatten. Da sitzen mit einem schlafenden Kind in den Armen und einem kleinen nackten Füßchen in der Hand...
»Hast du alles, was du brauchst?«
Er hatte Rachel nicht reinkommen hören. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. »Nein.« Er stieß schwer den Atem aus. »Ich brauche dich.«
Sie kam sofort zu ihm, presste sich an ihn, und da wusste er, dass ihr das Warten ebenso schwer geworden war wie ihm. Er schob die Hände unter ihr Hemd, das Hemd seines Bruders, und berührte ihre weiche Haut. Aber dann machte sie sich wieder von ihm los. Er hatte das Gefühl, als würde ihm etwas aus dem Herzen gerissen werden, doch dann merkte er, dass sie lediglich ging, um die Tür zuzusperren.
Wie oft hatten er oder Cherry das gemacht. Die Schlafzimmertür in ihrem alten Farmhaus in Georgia verriegelt, damit Jamie nicht unversehens hereinplatzte. Der Schmerz überfiel ihn mit neuerlicher Wucht.
Rachel legte die Hand an seine Wange, und ihre geflüsterten Worte senkten sich über ihn wie ein Gebet. »Bleib bei mir,
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