Traeum weiter, Mann
den letzten Tag denken. Eigentlich hatte er ja arbeiten wollen. Stundenlang hatte er auf den Computer gestarrt und versucht, sich in der Welt des seltsamen Franzosen zu verlieren.
Ohne Erfolg. Wie sollte er sich auch konzentrieren, wenn Steff, seine Steff, sich gerade mit diesem Widerling im fernen Kopenhagen amüsierte?
Schließlich hatte er sein Laptop zusammengeklappt und war spazieren gegangen. Dieses Mal nicht zum Strand, sondern mitten durch O. hindurch. Im strömenden Regen war er über die leeren Bürgersteige getrottet, hatte sich die kümmerlichen Geschäfte angesehen, die Boutique, einen Schuhladen und einen Laden für Strandspielzeug und Anglerbedarf (obwohl er vom Angeln überhaupt keine Ahnung hat). Schließlich hatte er sich in einem Kiosk ein Hamburger Abendblatt gekauft – die Zeitung aber schon nach ein paar Metern in einen Mülleimer geworfen.
Am Nachmittag hatte er sich im Wintergarten wieder an sein Buch gesetzt. Deshalb war er doch schließlich hergekommen. Tatsächlich schien es zuerst besser zu gehen. Doch als er später alles noch einmal durchlas, fand er, dass er nur Schrott geschrieben hatte. Und löschte alles wieder.
Das ist eben der Nachteil, wenn man keine Maschine, sondern ein sensibler und kreativer Geist ist, denkt Heiner. Solche Katastrophen wie die mit Steff belasten einen viel mehr als andere Menschen, deren Emotionen so flach sind wie eine Pfütze im Sommer.
Irgendwie ist es verrückt: In seinem Schmerz und seiner Eifersucht fühlt Heiner sich als Teil einer großen, romantischen Tragödie. Ja, er ist traurig, getroffen, bestürzt. Aber dass er so empfinden kann, gibt ihm eine Größe, die ihn über andere erhebt – vor allem über Schöning, diesen stumpfen Klotz.
Vielleicht wird es ihm später gelingen, dieses Drama zu Papier zu bringen. Oder es als Teil in eine andere Geschichte einzubauen. Als Schriftsteller hat er alle Möglichkeiten. Am Ende wird ein wunderbarer Roman entstehen.
Und dann wird Steff sich ärgern, dass sie so schnell die Fahnen gewechselt hat. Dann wird sie um ein bisschen Aufmerksamkeit von ihm betteln. Mal schauen, ob er ihr dann noch mal eine Chance geben wird.
Sein Magen knurrt und erinnert ihn daran, dass er noch kein Frühstück hatte. Und gestern hat er den ganzen Tag kaum einen Bissen herunterbekommen.
Als er in den Wintergarten kommt, sieht er nur leere, abgeräumte Tische. Kein Gast ist mehr zu sehen. Nur an einem Tisch sitzt noch eine einsame junge Frau über einer Tasse Tee.
Heiner traut seinen Augen nicht.
»Steff – Frau Schmidt?«
Sie dreht sich um.
»Ah guten Morgen, Herr Deuters, wie geht es Ihnen?«
»Gut, sehr gut!« Heiner versucht sich seine Aufregung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Er lächelt unbeholfen.
Steff ist wieder zurück! Aber wie traurig und müde sie aussieht!
»Was macht Ihr Rücken?«, erkundigt sie sich freundlich.
»Alles wieder gut, auch ohne ihre Stellung – ohne Ihre Yoga-Tipps meine ich«, stottert er verlegen.
Ruhig, Heiner, ganz ruhig.
»Wie war es in Kopenhagen? Haben Sie eine schöne Zeit gehabt?«, fragt er und versucht, so souverän wie möglich zu lächeln.
Zu seiner Überraschung weicht Steff seinem Blick aus und sieht nachdenklich hinaus aus dem Fenster.
»Haben Sie Lust auf einen Spaziergang?«, fragt sie.
Heiner starrt sie überrascht an und kriegt kein Wort heraus.
»Oder müssen Sie wieder arbeiten? Bestimmt haben Sie viel zu tun.«
Heiner schüttelt den Kopf. »Ich glaube, eine kleine Pause kann nicht schaden.«
Kurz darauf bummeln sie nebeneinander durch den weichen Sand. Der Wind streicht sanft vom Meer herauf, das mit seiner leisen Brandung kaum zu hören ist. Über ihnen öffnet sich ein endloser blauer Himmel. Selbst die Möwen segeln nur majestätisch durch die Luft und halten sich mit ihrem Krächzen zurück, um diesen perfekten Moment nicht zu stören.
Würde sein Hühnerauge nicht leise unter seiner nackten Sohle pochen, würde Heiner denken, dass er schon wieder träumt.
Aber was ist mit Steff los?
Schweigsam geht sie neben ihm und blickt nur versonnen in den weißen Sand. Heiner überlegt, wie er das Gespräch in Gang bringen kann.
»Schönes Wetter, nicht?«
Nicht besonders souverän. Aber Steff nickt und lächelt freundlich.
»Gestern hat es die ganze Zeit geregnet«, ergänzt er.
»Ach ja?«
»In Dänemark nicht?«
Dieses Mal schüttelt Steff nur den Kopf. Offensichtlich will sie nicht über ihren Ausflug mit Schöning reden. Warum denn
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