Traeume Aus 1001 Nacht Band 04
Laternenlicht … Moment mal … kurz danach habe ich wieder jemanden ganz in Schwarz gesehen, eine Frau. Ob das die gleiche Person war? Es war an der Brücke.“ Sie öffnete die Augen. „Die Frau ist mir aufgefallen, weil sie von Kopf bis Fuß mit einem dieser schwarzen Gewänder verhüllt war. Ich dachte noch, wie merkwürdig, eine streng gläubige Muslimin, ganz alleine, mitten in der Nacht.“
„War das bei der Battersea Bridge?“, fragte Jaf.
Lisbet nickte. „Ja, das Riverfront ist dort in der Nähe, und wir schlenderten in diese Richtung, nachdem Anna mit dem Taxi weggefahren war. Diese Frau in Schwarz überquerte vor uns die Straße und ging auf die Brücke zu. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich die Person aus dem Taxi war.“
Anna verbarg das Gesicht in den Händen. Als sie den Kopf wieder hob, lag Scheich Gazis Blick auf ihr.
„Haben Sie sich gerade an etwas erinnert?“, fragte er.
Resigniert schüttelte sie den Kopf. „Nein.“
Minutenlang saßen sie schweigend da und tranken ihren Kaffee.
„Der Unfall muss innerhalb weniger Minuten, nachdem du eingestiegen bist, passiert sein, Anna“, sagte Lisbet schließlich. „Das Taxi bog um die Ecke, fuhr die King’s Road hinunter und stieß dort mit dem Bus zusammen. Länger als fünf Minuten kann das nicht gedauert haben.“
„Das denke ich auch.“
„Also gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist jemand zur Unfallstelle gerannt und hat dir das Baby untergeschoben, wohl wissend, dass ja bald ein Krankenwagen kommen würde. Aber das klingt ziemlich unwahrscheinlich. Oder das Baby war schon im Taxi, als du eingestiegen bist.“
„Genau.“ Anna nickte.
„Oder irgendetwas absolut Merkwürdiges ist in der Klinik passiert.“
Anna hatte das Gefühl, von einer riesigen Last befreit zu sein, als ihre Freundin das aussprach, was sie schon die ganze Zeit Scheich Gazi klarzumachen versuchte. Forschend blickte sie ihn an, doch sein Gesichtsausdruck verriet nichts.
Lisbet redete einfach weiter. „Wenn ich mich also in Nadias Lage versetze … Ich fliehe vor meinem Mann, weil er mich misshandelt, aber ich bin schon in den Wehen, so war es doch, oder? Ich tue also, was? Ich entbinde auf dem Rücksitz eines Taxis? Aber dann hätte der Fahrer über Funk einen Krankenwagen gerufen, oder nicht? Gab es einen solchen Funkruf?“
„Nein“, sagte Jaf. Er beugte sich vor und hörte Lisbet aufmerksam zu.
„Oder der Taxifahrer würde sie selbst sofort zur Klinik bringen. Ganz sicher würde er seinen Fahrgast nicht einfach so aussteigen lassen, weder mit noch ohne Baby. Nehmen wir also an, es war wirklich Nadia, die das Taxi verließ, als Anna einstieg, und dass sie das Baby im Taxi gelassen hat. Dann gibt es doch nur eine Schlussfolgerung, nämlich dass sie das Baby bereits entbunden und sich erst dann ein Taxi genommen hatte, um sich irgendwo hinbringen zu lassen.“
Anna nickte nachdenklich. Langsam schienen die Dinge Gestalt anzunehmen.
„Das Baby war gerade geboren“, bemerkte Jaf. „Es war noch nicht einmal gebadet worden. Man hatte es in einen Bademantel gehüllt und in eine Tasche gelegt. Die Leute in der Klinik sagten, wahrscheinlich habe der Taxifahrer bei der Geburt geholfen und das Baby rasch provisorisch in irgendwelche Textilien gewickelt. Sicher sei er auf dem Weg zu einer Klinik gewesen, als der Unfall passierte. Er ist immer noch nicht vernehmungsfähig.“
Anna sah Gazi an. „Vielleicht hat sie das Baby ja schon zu Hause entbunden, und als ihr Mann das Auto holen ging, rannte sie einfach los.“
Lisbet überlegte. „Sie und Ihr Bruder waren beide nicht in der Stadt, nicht wahr? An wen hätte Nadia sich in London wenden können? Zu wem hätte sie mit ihrem Baby gehen können?“
Jaf schüttelte den Kopf. „Sie hatte keine eigenen Freunde in London, nur solche, die sie zusammen mit Yusuf kennengelernt hatte. Wir fürchten, dass sie eigentlich keine Verbindung zur Außenwelt hatte.“
„Dann wäre praktisch ein Frauenhaus für sie die einzige Möglichkeit gewesen, unterzukommen. Ob das vielleicht ihr Ziel war? Haben Sie überprüft, ob es in der Nähe der Battersea Bridge Frauenhäuser gibt?“
Jaf lächelte verlegen. „Daran haben wir allerdings noch nicht gedacht. Ich werde sehen, was ich tun kann, aber Frauenhäuser sind sehr zurückhaltend mit Informationen.“
„Die Frage ist, was hat Nadia umgestimmt? Warum ließ sie das Baby im Wagen zurück? Wenn sie wirklich auf dem Weg zu einem Frauenhaus war, dann …“
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