Traeume aus der Ferne
war wirklich schon auf dem Weg zurück in den größten Trubel. Sie drehte sich wieder zu mir um und schenkte mir ein warmes, freundliches, aber unsicheres Lächeln.
»Möchten Sie mir nicht etwas Gesellschaft leisten?« fragte ich und deutete dabei auf den leeren Stuhl neben mir. »Ich glaube, für heute hatte ich genug trübe Gedanken.«
Die Frau zögerte noch immer, die Einladung anzunehmen.
»Ich würde mich wirklich sehr freuen«, fügte ich deshalb hinzu und versuchte ihr mein schönstes Lächeln zu schenken.
»Okay, wenn das so ist«, sagte sie nach einem erneuten Zögern und setzte sich neben mich. »Ich heiße Linda«, stellte sie sich vor und schaute mich erwartungsvoll an.
»Annette«, antwortete ich mechanisch.
Wir lächelten uns kurz an und schauten schließlich beide wie auf Kommando auf Franziska, die sich gerade durch ihr lautes Lachen die Aufmerksamkeiten sicherte. Wie ich dieses falsche Lachen hasste. Merkte denn außer mir niemand, wie aufgesetzt das klang?
»Sie mögen sie wohl nicht besonders, was?« Linda deutete mit dem Kopf in Franziskas Richtung. War mein Frust auf Franziska, nein, eigentlich galt er mir selbst, schon so deutlich zu sehen?
»Nun ja, ich mag sie schon«, antwortete ich etwas ausweichend. Doch Lindas Blick zeigte mir, dass sie mit dieser Antwort wohl nicht zufrieden war. »Sie ist meine Lebensgefährtin«, fügte ich deshalb noch erklärend hinzu.
»Oh, da bin ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten.« Linda blickte verschämt zur Seite, ich hatte aber nicht wirklich das Gefühl, dass sie überrascht darüber war.
»Halb so schlimm«, antwortete ich kurz angebunden.
Wir saßen noch eine Weile still nebeneinander und beobachteten dabei die anderen Gäste.
Ab und zu versuchten wir uns etwas in Small talk, schienen aber beide diese Ruhe, die keinesfalls bedrückend wirkte, zu genießen. Ich warf ihr einen verstohlenen Blick zu, während sie mit ihrem Glas in der Hand spielte.
»Sind Sie allein hier?« fragte ich schließlich.
»Ja«, antwortete sie. »Ich bin wegen meiner Chefin hier. Für mich ist das heute sozusagen eine berufliche Pflicht, anwesend zu sein. Auch wenn ich den Eindruck habe, dass keiner hier ein Problem damit hätte, wenn ich nicht gekommen wäre.«
Ich lächelte sie mit dem ganzen Mitleid, das ich für mich selbst empfand, an.
»Oh, wie bekannt mir das vorkommt.« Ich hoffte, dass sie den bitteren Unterton in meiner Stimme nicht heraushörte.
Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Als ich meinen Kopf zu ihr drehte, blickte sie mich mit ihren warmen Augen an. »So schlimm?« Ihre Frage war kaum mehr als ein Flüstern.
Ihr Blick, ihre Nähe, alles schien mich in ihren Bann zu ziehen. Der Alkohol! Es musste der Alkohol sein, sagte ich mir. Ich war Alkohol nicht gewohnt, und noch weniger war ich es gewohnt, dass sich jemand wirklich um mein Befinden sorgte.
Ruckartig löste ich meine Augen von ihr, starrte wieder geradeaus auf die Gäste. Franziskas Auftritt holte mich in die Realität zurück. Sie schaffte es immer wieder, die Gäste um sich zu scharen – und sie genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen.
Ich erinnerte mich wieder daran, dass Linda mir eine Frage gestellt hatte.
»Ja, manchmal ist es wirklich schlimm.« Ich schluckte den Frosch in meinem Hals hinunter und wagte nochmals einen kurzen Seitenblick auf sie.
»Man fühlt sich dann nicht mehr als sein eigener Herr«, sprach ich weiter und fragte mich im nächsten Moment, wieso ich ihr das eigentlich erzählte. War ich so tief gesunken, einer fremden Frau mein Herz auszuschütten? Ich wusste absolut gar nichts über Linda mit den warmen Augen und der leisen Stimme. Und doch konnte ich mich nicht dagegen wehren, einfach weiterzusprechen. »Aber es ist meistens leichter zu ertragen als die sinnlosen Diskussionen, wenn ich nicht mitgehen würde. Und wie ist es bei Ihnen? Werden Sie wirklich gezwungen, sich so etwas aus beruflichen Gründen anzutun? Ich meine, Franziska tut das hier auch für ihren Beruf. Aber sie tut es gern, was mir bei Ihnen nicht so scheint.«
»Ein echter Zwang ist es natürlich nicht.« Linda lächelte versonnen in ihr leeres Glas. »Aber meine Chefin ist die Gastgeberin hier, und man bekommt es zu spüren, wenn man solchen Wünschen nicht nachkommt. Verstehen Sie, was ich meine?«
Und ob ich verstand! »Ja, ich kann es mir in etwa vorstellen.«
Franziska hatte auch ihre Mittel und Wege mich zu bestrafen , wenn ich ihr Widerstand leistete. Emotionale Erpressung
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