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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Zwei so kleine Mädchen. Und so blond. Ihr habt ununterbrochen gekichert und miteinander getuschelt.«
    Ich weiß nicht, wo ich mich in diesem viel beachteten Augenblick aufgehalten habe. Jedenfalls lerne ich Bruno erst einige Tage später kennen, als ich mit Aad vom Weingut ins Tal fahre und hoch oben auf dem sandfarbenen Sitz des neuen Land Rovers sitze wie irgendeine niederländische Touristin, die einen Ausflug macht. Auf halber Strecke den schmalen Weg hinunter hält Aad an, als ein kräftig gebauter Mann im Norwegerpulli aus dem Weinfeld kommt und auf uns zuläuft. Er hält eine Zange in der Hand und stopft sich im Gehen ein langes Stück Schnur in die Tasche seiner militärgrünen Arbeitshose. Während Aad ihm durch das Fenster hindurch die Hand schüttelt, betrachte ich ihn neugierig. Das also ist Bruno, der als Vollzeitkraft für uns arbeiten wird, ein kräftiger, gedrungener Mann mit fleischigen Schultern, einem runden Gesicht und Pausbacken, dem man erst von Nahem ansieht, wie jung er noch sein muss. Seine Haare sind so füllig wie sein Körper, sie sind kurz geschnitten und stehen ihm vom Kopf ab wie die Borsten auf meiner besten Bürste aus echten Wildschweinborsten. Aus kleinen dunklen Augen schaut mich Bruno neugierig an, der modisch ausrasierte Bart ist ein unerwartetes Zeichen seiner Eitelkeit.
    Aad und ich sitzen an dem runden Tisch vor dem Haus, als Aad das Telefon wütend auf den Tisch knallt und einen dicken Strich durch eine weitere der vielen Nummer zieht, die er inzwischen angerufen hat. »Das können wir vergessen«, sagt er und schlägt seinen Terminkalender zu, »ich hab schon im Winter mit all diesen Bauunternehmern gesprochen, und jetzt hat keiner von ihnen Zeit, mit dem Umbau anzufangen.«
    Ich schaue mich zu dem Haus hinter uns um. All die düsteren Zimmer von Madame Ros stehen leer. Wir bewohnen nach wie vor nur die Herberge. Der gepflegte Raum mit seinen geraden Linien hat nichts von der düsteren Schwere des übrigen Hauses. Auch wenn der eine oder andere Urlaubsgast in diesem Raum genächtigt hat, keine Spur seiner Anwesenheit hat sich an den glatten Wänden, an den glänzenden rosa Fliesen auf dem Boden festsetzen können.
    Gemeinsam mit Bruno hat Aad die Betten nach oben getragen. Zwei stehen auf der Südseite, dort schlafen Fiene und Marijn, unser großes Bett und ein Kinderreisebett befinden sich im hinteren Zimmer – alles passt gerade so hinein. Ein wackliger Kleiderständer auf Rollen hält sich mühsam zwischen dem Bett und der Wand aufrecht. Ich gehe mit den Mädchen im Lager über dem Weinkeller auf Kleiderjagd, lasse sie auf den aufgestapelten Kartons herumklettern. Ich bringe alle Kartons zum Vorschein, auf die ich beim Einpacken »Herberge« geschrieben habe. Damals glaubte ich, mit dem Inhalt für die grundlegenden Anforderungen an das Leben auf dem Weingut gerüstet zu sein. Jetzt, in dieser kahlen, hellen Umgebung, bekommt jedes dieser Dinge plötzlich eine neue Bedeutung. Das Brotmesser, die Teekanne, die Puppen der Mädchen, natürlich brauche ich das alles. Aber in jedem Karton bleiben auch Dinge zurück, auf die ich doch verzichten kann, anders als ich dachte. Wozu noch ein Schälchen? Warum diese Lampe? Als ich wieder einmal mit einem halbvollen Karton zurück ins Lager gehe, blicke ich fassungslos an dieser Wand aus Kartons hinauf, die mich anstarrt. Gehören all diese Sachen wirklich uns?
    Aad und ich frühstücken lange am runden Tisch, gehen mit den Kindern an den Strand, zu den Dörfern in der Umgebung, das Leben ist ein einziger Urlaub. Manchmal laufen wir durch die Weinfelder rund um das Haus. Überall sind Rebstöcke, eine große Parzelle hinter einer Steinmauer, kleine Felder gesäumt von Sträuchern, ein Hügel, eine Reihe Olivenbäume.
    Es ist ein beinahe surrealer Gedanke, dass vieles davon wahrscheinlich uns gehört, auch wenn ich keine Ahnung habe, was genau.
    Xavier van Okhuysen hat uns Siebe vorgestellt, einen jungen Niederländer, der in Bordeaux ausgebildet wurde und inzwischen ein Weingut im Languedoc leitet. Sofort waren wir uns darüber einig, dass er die richtige Person ist, um uns mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
    Ich traf Siebe zum ersten Mal in einem Restaurant an der Rozengracht – ein hochgewachsener, dünner junger Mann mit einem ernsten Gesichtsausdruck, um dessen Augen sich aber fröhliche

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