Träume in Kristall
»Ach, was ist das komisch!«
Da lief Tsuruko einfach um Imamura herum und sagte, während sie ihre Hände fest auf Sakikos Schultern legte, voller anhänglicher Zärtlichkeit: »Siehst du, nun bin ich gekommen.« Worauf sich Sakiko, als wollte sie sich jetzt bei ihr verstecken, kichernd an sie lehnte: »Wirklich, ich schäme mich.«
Tsuruko hätte gern etwas Hefiges erwidert, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Mit dem stolzen Verlangen, es möchten alle Leute ›ihre schöne Sakiko‹ bewundern, trat sie aus dem Bahnhof. Und sobald sie im Taxi saßen: »Bist du müde?«
»Hm«, nickte Sakiko schwer, hielt dabei die Augen geschlossen und neigte sich ein wenig zu Tsuruko hinüber. Auch Tsuruko hatte fest die Augen geschlossen. Wie benommen war sie von Sakikos altvertrautem Duf.
Jetzt wieder, da sie sie nahe genug vor Augen hatte, um den Hauch von Puder zu bemerken, der um Sakikos lang geschnittene Augenlider aufgetragen war, machte das Tsuruko so trunken, daß ihr, was sie sonst sich ausdachte, völlig müßig erscheinen wollte. Als aber Sakiko sie anrief: »Nein, schau mich doch nicht so an!«, fragte sie, ein wenig schüchtern: »Und er, – was ist mit ihm?«
»Er ist oben, und hat sogar das Frühstück ausgelassen, weil er sagt, heute wirst du ihm was vorsetzen.« »Ach, du lügst ja, er wird wohl noch schlafen. Gleich gehe ich mal und sehe nach.« Damit lief Tsuruko allein in den ersten Stock hinauf.
Imamura saß auf einem Stuhl am Fenster und las Zeitung. Abermals empfand Tsuruko eine innere Unruhe, als würde sie sanf zurückgewiesen.
Einen etwas erschöpft wirkenden, friedlich dreinschauenden Imamura, einen Imamura, der nachlässig in seinen Hauskimono gekleidet war, mochte Tsuruko am liebsten. Soviel sie sah, hatte Imamura nichts leidenschaflich Hefiges an sich. Auch keine Schärfe. Dafür aber war in seiner Erscheinung eine Sanfheit, die zu einem ihr schwer erklärlichen Schönen stimmte. Von dieser wunderbaren Ruhe fühlte sie sich angezogen. Wenn er etwa, unbewußt die Knie umfassend, schweigend auf der Tatami-Matte saß, spürte sie aus seinem klaren Profil, daß da eine Behausung wäre, in der ihr Inneres seinen Frieden fände.
Imamura war der Sohn eines Hauses, das mit Tsurukos Familie wie mit Verwandten verkehrte. So waren sie, lange vor der Bekanntschaf mit Sakiko, seit ihrer Volksschulzeit Spielgefährten gewesen. Und wenn sie später, ein junges Mädchen schon, ohne einander vertrauter, ohne einander fremd zu werden, mit Imamura zusammen war, und sie mochte nicht immer reden und fand es nicht peinlich zu schweigen, so dachte sie doch: er ist ein lieber Mensch, und hatte dabei das Gefühl, sie wäre wieder daheim. Deshalb sagte sie sich, als sie erfuhr, daß Imamura und Sakiko heirateten: »Ah, so wird mir am Ende kein Fremder die beiden wegnehmen.« Und klatschte unbewußt in die Hände, und ihr schien, die Götter hätten es eigens für sie so eingerichtet. Niemand konnte sich herzlicher freuen über die Heirat der beiden als sie, niemand konnte den beiden mehr Glück wünschen als sie; davon war sie überzeugt, und wenn immer sie an die beiden dachte, empfand sie, daß ihr Herz dann am reinsten war.
Wie er an jenem Sonntagmorgen, eben aufgestanden, in sich versunken und behaglich dasaß, war es genau der Imamura, den Tsuruko am liebsten mochte; dennoch, als sie ihm nach so langer Zeit plötzlich gegenüberstand, erschrak sie irgendwie doch, und mit erstickter Stimme rief sie: »Sakiko-san!«
Sich wieder und wieder die Hände abwischend, kam Sakiko herauf.
»Wollen wir nicht ein bißen Pause machen? Es ist ja noch zu früh für das Mittagessen.«
»Dann wird er aber einen Hunger kriegen!« Sie setzten sich, Sakiko ihren Arm um Tsurukos Schulter, Imamura gegenüber auf die andere Seite und lachten heimlich miteinander.
Nachdem sie all die Angewohnheiten ihrer Lehrer und Freunde aus der Schulzeit hervorgekramt hatten aus ihrer Erinnerung, begannen sie unter närrischer Nachäfferei und vor Ausgelassenheit sich schubsend und balgend mit dem Kochen. Unter viel Mühe schleppten sie den Eßtisch hinauf in das hellere Zimmer.
»Sieh mal an«, sagte Sakiko und legte plötzlich die
Eßstäbchen weg, »Tsuruko-san hört schon auf zu essen, und dabei hat sie es expreß bestellt.« »Nun ja, was man selber kocht, heißt es, macht einen schon vorher satt.«
Als ob gerade das sie ein wenig betrübte, daß sie zu dritt so überaus vergnügt waren, kehrte Tsuruko an diesem Tag gegen
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