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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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gewesen.
    »Hier gibt es keine Fluchtmöglichkeit«, höhnte Mullins. »Springt meinetwegen ruhig vom Schiff, dann werden euch die Haie kriegen, wenn nicht die, dann der Dschungel.«
    Billy starrte ungläubig auf das Land vor ihm. Bäume erstickten die verdorrte Erde, so weit das Auge reichte. An der Küste lauerten dunkle, bedrohliche Sümpfe, mit Schleiern aus Unkraut behängte Wurzeln tauchten wie Hexenfinger aus dem Schlamm auf. Moskitos zogen in großen Wolken vorbei, und die stinkende träge Stille wurde ständig vom schrillen Schnattern eines seltsamen Tieres durchbrochen, das sich über sie lustig zu machen schien.
    Er wandte sich an Mullins. »Sie sind genauso ein Gefangener wie ich«, bemerkte er ruhig. »Hier sind wir alle am Ende.«
    Mullins spuckte über die Reling. »Ich nicht, Freundchen«, entgegnete er. »Ich bin auf dem nächsten Schiff, das mich hier rausholt.« Seine Augen funkelten böse. »Ich werde wieder in London bei einem Bier und einer Hure sein, während du hier festsitzt, bis du verrottest.« Er trollte sich.
    Billy ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er den Mistkerl niedergestreckt und zu Mus geschlagen, aber er wusste, das hätte Mullins gefallen, denn er wartete nur auf einen Vorwand, ihn in die Eisen zu legen und abermals die Peitsche auf ihm tanzen zu lassen. Er zwang sich zur Ruhe, während er die anderen Schiffe betrachtete, die in der Bucht dümpelten. Wenigstens hatte er die Reise überstanden, obwohl er zwischendurch manchmal gedacht hatte, er würde wahnsinnig vor Angst: so, als der Laderaum Wasser aufnahm und sie alle kurz vor dem Ertrinken standen.
    Sein Blick fiel auf die Golden Grove , und seine Gedanken gingen zu Susan und ihren Kindern. Es war ihr gelungen, ihm auf der Überfahrt Zusatzrationen und saubere Sachen zukommen zu lassen – doch welcher Wahn hatte Ezra dazu getrieben, seine Familie hierherzubringen? Sie waren schließlich nicht gezwungen worden, sie waren keine Sträflinge – dennoch hatte er seine Frau und Kinder zum Tode verurteilt, so sicher, als hätte er ihnen eigenhändig die Schlinge um den Hals gelegt.
    »He, Billy. Hier bin ich.«
    Er schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam. Nell beugte sich über die Reling der Lady Penrhyn und winkte ihm begeistert zu, wobei ihre Brüste tanzten. Er winkte zurück. »Wie geht’s dir?«, rief er hinüber. »Und wie steht’s um Bess?«
    »Mir geht’s gut«, schrie sie. »Aber das Kind ist vor zwei Wochen gestorben, und Bess ist nicht so gut drauf.«
    Billy spürte Gewissensbisse; vielleicht war es ein Fehler gewesen, darauf zu bestehen, dass das Kind mit auf die Reise kam. Bess ihrerseits musste ihr Glück versuchen wie alle anderen auch. Ein deftiger Stoß in die Rippen hielt ihn davon ab, zu antworten. »Keine Gespräche mit den weiblichen Gefangenen«, fuhr Mullins ihn an. »Geh nach unten, Penhalligan, und bleib bis morgen da.«
    Billy schaute zu Nell hinüber, die sich gegen einen Matrosen zur Wehr setzte, und als man sie in ihre getrennten Laderäume schob, rief sie ihm zu: »Auf Wiedersehen in der Hölle, Billy!«
    Arthur Phillip kehrte von seiner Erkundungsfahrt zurück und verkündete, er habe den »schönsten Hafen der Welt gefunden, in dem tausend Schiffe des Verbandes sicher vor Anker gehen können«. Mit der Flut würden sie nach Port Jackson segeln.
    Er war auch keinen Augenblick zu früh zurückgekommen: Zum einen waren finstere, Speere werfende schwarze Männer am Ufer von Botany Bay aufgetaucht, zum anderen war das erste Schiff der französischen Expedition unter La Pérouse gerade vor der Landspitze gesichtet worden. Sie hatten die Franzosen besiegt, nun war es dringend notwendig, die Ansiedlung New South Wales einzurichten und Norfolk Island zu annektieren, um die Produktion von Flachs in die Wege zu leiten.
    Lowitja hatte gewusst, dass sie kommen würden, denn sie hatte sie viele Monde vorher in den sprechenden Steinen gesehen. Ihre Fähigkeit als Seherin und Medizinfrau war hoch geachtet, doch die Visionen, die sie neuerdings hatte, bereiteten ihr Sorge – Visionen von dunklen Tagen und viel Blut, von Tod, Zauber und Entsetzen.
    Sie war an jenem Morgen früh aufgewacht, noch beunruhigter als sonst von ihren Träumen, trotzdem hatte es sie unwiderruflich auf die Landspitze gezogen, als hätten die Geister sie an die Hand genommen. Als sie sah, wie sie auf die kleine Bucht zusegelten, die von ihrem Stamm Kamay genannt wurde, wusste sie, dass ihre Visionen sie nicht getäuscht

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