Träume jenseits des Meeres: Roman
die Tasche steckte und das Haus verließ.
Lowitja bettete die jüngsten Kinder unter die Felldecken und sang sie in den Schlaf. Sie ließ sie in der Obhut der wachsamen Großmutter, verließ das Lager und machte sich mit ihrem Speer als Schutzwaffe auf den langen Weg durch den Busch zu einer bestimmten Höhle. Sie fühlte sich nicht mehr sicher, wenn sie allein durch die Nacht ging, denn viele Frauen waren bereits von den weißen Männern vergewaltigt worden, die das Land gestohlen hatten.
Sorgenvollen Gedanken nachhängend, erreichte sie den Eingang zur Höhle, die hoch über der Wasserlinie lag und über den reißenden Fluss schaute. Obwohl sie sich mit Susan und ihrer Familie angefreundet hatte und auch ein paar andere Weiße vertrauenswürdig waren, konnte sie das wachsende Gefühl einer drohenden Gefahr nicht verleugnen. Ihr Volk durchlief eine Veränderung, die Traditionen wurden für das süße dunkle Getränk aufgegeben, das Narren aus ihnen machte und sie um den Verstand brachte. Die Spiritualität der schwindenden Stämme ging verloren, die ursprüngliche Einigkeit zerbrach an Meinungsverschiedenheiten. Einige Frauen waren sogar freiwillig in die Hütten der weißen Männer gegangen, um mit ihnen zu leben, andere verkauften ihren Körper für Rum und hübsche Kleider.
Sie stand am Eingang der Höhle, beobachtete die Mondgöttin hoch oben am Himmel und dachte an Anabarru. Sie war den überkommenen Traditionen gefolgt und gereinigt worden, so dass sie sich wieder ihrem Mann und dem Stamm anschließen konnte; dieses strenge Gesetz aber war hier nicht befolgt worden. Die Frauen, die zu den weißen Männern gezogen waren, hatten ihre Kinder behalten und würden nie wieder an die Lagerfeuer zurückkehren können. Diese Kinder, deren hellere Hautfarbe sie sowohl von Schwarzen als auch von Weißen unterschied, würden weder auf die überkommene Weise initiiert noch in die Welt der Weißen integriert werden, weshalb ihnen bestimmt war, für den Rest ihres Lebens auf einsamen Pfaden zu wandeln.
Tief aufseufzend sank sie zu Boden und nahm die kostbaren Steine aus ihrem Bastbeutel. Sie hielt sie in der Hand, stimmte die besonderen Gebete an ihre Urahnin Garnday an und wartete auf ihre Antwort, bevor sie sie auf den Boden warf. Was sie sah, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Eine große Dunkelheit nahte – und sie nahm die Gestalt eines weißen Mannes in rotem Rock an. Dieser Teufel würde ihr Volk abschlachten, würde sie bis an den Rand des Untergangs bringen bei dem Versuch, die spirituellen Traditionen ein für alle Mal auszumerzen. Sie schloss die Augen und begann zu beten. Noch nie hatte sie Garndays Weisheit so dringend gebraucht.
Neunzehn
Sydney Cove, März 1793
W
ürdest du bitte in die Stadt gehen und Ezra diese Notiz bringen?«, bat Susan und gab Millicent den Zettel. Dann fuhr sie fort, den kleinen Korb mit den Sachen für ihren Besuch im Sträflingskrankenlager zu packen. »Wahrscheinlich ist er bei Florence, versuch es da also zuerst.«
Zögernd steckte Millicent die Notiz in ihre Tasche. Vor einigen Monaten waren elf Schiffe nach Port Jackson gekommen, und nun war Sydney Town voller Soldaten und Matrosen, die ebenso ungehobelt und betrunken waren wie die irischen Sträflinge, die sie transportiert hatten. Es war sicherlich kein Ort für ein scheues Mädchen. »Ist es denn so wichtig?«, fragte sie.
Susan hielt inne und legte Millicent eine Hand auf die Schulter. »Sonst hätte ich nicht darum gebeten«, sagte sie sanft. »Aber ich brauche Ezra, um Mrs. O’Neil die Sterbesakramente zu verabreichen. Sie hat nach einem Priester verlangt, und ich vermute, sie wird die Nacht nicht überstehen.«
»Aber sie ist doch eine von diesen irischen Katholiken«, stammelte Millicent. »Sie kann Ezra nicht leiden, und nichts, was er vertritt.«
»Ich weiß«, erwiderte Susan und wischte sich über die Stirn. Es war stickig im Haus, der Sommer war noch nicht zu Ende. »Warum die britische Regierung die Iren ausgerechnet an unsere eisern protestantischen Gestade geschickt hat, weiß der Himmel.« Sie lächelte, obwohl ihre Haltung eine für sie ungewöhnliche Ungeduld ausdrückte. »Aber sie sind nun einmal da, und mit jedem Schiff kommen noch mehr, und kein Priester ist da, der sich um sie kümmert oder ihren eigenartigen Aberglauben versteht. Mrs. O’Neil liegt im Sterben. Sie verlangt nach den Sterbesakramenten. Da Richard im Missionshaus ist, wird Ezra es übernehmen müssen.«
»Schon gut«,
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