Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
nicht: Für sie war er lediglich die Versicherung, dass Abstammung und Titel weitergegeben wurden und er die Leitung des beträchtlichen Anwesens nach seiner Volljährigkeit übernehmen würde.
    Clarissa suchte sich eine Praline auf dem Silbertablett aus, das auf dem Tisch neben ihr stand. Mit dem gezierten Gebaren einer Dame aus gutem Hause knabberte sie daran und tupfte die Lippen mit einer Serviette ab, bevor sie erneut das Wort ergriff. »Ich sehe durchaus die Vorteile, lieber Bruder. Aber die Kosten einer solchen Reise …« Der Tod des Earls hatte dessen Spielschulden aufgedeckt; das Anwesen erholte sich eben erst davon.
    »Die Kosten übernehme ich, liebe Schwester«, erwiderte Josiah großspurig. »Verstehe ich dich also recht, dass wir deine Einwilligung haben?«
    Jonathan erhob sich. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Seine Mutter suchte eine weitere Praline aus. Vor Ungeduld hätte er am liebsten den Raum durchquert und ihr die Süßigkeit aus den Fingern gerissen, doch anscheinend war sich seine Mutter ihrer zentralen Rolle in diesem kleinen Drama durchaus bewusst, und sie war entschlossen, diese Rolle möglichst lange auszukosten.
    Sie aß die Praline auf und nickte. »Aber bei seiner Rückkehr hat er die volle Verantwortung für das Anwesen zu übernehmen und eine passende Frau zu finden, die eine großzügige Mitgift zu bieten hat.«
    Das war deutlich, doch Jonathan war nicht bereit, darauf einzugehen. Den Kampf würde er nach seinem Abenteuer ausfechten. Susan war seine große Liebe – und daran würde seine Mutter nichts ändern.
    »Dann haben wir das erledigt«, dröhnte Josiah und schloss Jonathan so heftig in beide Arme, dass diesem beinahe die Luft wegblieb.
    Über die breite Schulter seines Onkels hinweg fiel Jonathans Blick auf seine Mutter, doch sie war mit dem Naschwerk beschäftigt. »Wann soll es losgehen?«, brachte er keuchend hervor.
    »Sobald sich die Königlich Geographische Gesellschaft auf einen geeigneten Leiter für die Expedition geeinigt hat«, erwiderte Josiah. »Aber wir müssen morgen nach London aufbrechen, um mit unseren Vorbereitungen zu beginnen. Es gibt viel zu tun.« Er lockerte die Umarmung und trat einen Schritt zurück. Seine Miene war spöttisch, aber verständnisvoll, als er in Jonathans Gesicht schaute. »Nun geh schon, mein Junge«, sagte er leise. »Wir sprechen heute Abend miteinander.«
    »So einer wie der heiratet nicht deinesgleichen, und du bist dumm, etwas anderes anzunehmen.«
    Susan Penhalligan bog von der steilen, gepflasterten Straße ab und machte sich an den langen Aufstieg von Mousehole durch das hohe Gras hinauf auf die Klippen. Die Worte ihrer Mutter klangen ihr noch in den Ohren, und obwohl sie sich die größte Mühe gab, sie zu überhören, hielten sie sich hartnäckig. »Sie versteht es nicht«, keuchte sie, als sie den steilsten Teil des Pfades erklomm. »Niemand versteht es. Aber eines Tages werden wir sie eines Besseren belehren.«
    Sie erreichte den Gipfel und blieb einen Augenblick stehen, ließ sich vom Wind die Haare aus dem Gesicht wehen und zupfte an ihren Röcken, während sie Atem schöpfte. Sie hatte nicht mehr weit zu gehen. Jonathan würde schon auf sie warten. Sie atmete noch einmal tief durch. Hier oben war der salzhaltige Wind so rein und frisch, es stank nicht nach Fisch, und sie wurde nie müde, das enge Dorf und den geschäftigen Anleger zu verlassen, um aus der Stille und dem erhabenen Ausblick Kraft zu schöpfen.
    Mousehole lag tief unter ihr, eine Gruppe eng aneinandergedrängter Katen am Fuße der Klippen, geschützt vor dem Meer durch einen gemauerten Kai und einen schmalen Strand. Die Fischerboote ankerten im seichten Wasser des Hafens, die Netze waren zum Trocknen aufgehängt, die Hummertöpfe standen gestapelt für den Montagmorgen bereit. Die Räucherkammer und die Heringsfässer waren an diesem Ruhetag verlassen, doch schon am nächsten Morgen würde der Kai mit den Rufen der Fischer und deren Frauen, die sich für ihr täglich Brot abmühten, wieder zum Leben erwachen.
    Susan zog sich den ausgefransten Schal fester um die Schultern und steckte die Enden in den Rockbund. Dann machte sie sich barfuß auf den Weg über die Hügel. Das Mieder saß ein wenig stramm, und die Röcke reichten nur bis an die Knöchel, doch es waren ihre besten Sonntagssachen, und sie hatte beim Waschen und Ausbessern besondere Sorgfalt walten lassen. Das Geld reichte ohnehin vorn und hinten nicht. Neue Kleidung musste warten, obwohl sie

Weitere Kostenlose Bücher