Träume jenseits des Meeres: Roman
sie hatte einen Mund so groß wie Jonas Wal. »Ich heirate Ezra, weil er mich gefragt hat und weil ich es will«, sagte sie entschlossen. »Mein Leben wird sich ändern, Moll, und ich bin einfach nur nervös, mehr nicht.«
Mollys plusterte ihre rosigen Wangen auf und seufzte. »Die Frau des Pastors«, flüsterte sie. »Wer hätte das gedacht? Ich wette, du hast ihm nichts von damals erzählt, als sie uns in den Trockenschuppen mit den beiden Kerlen entdeckt haben, oder als du dich einmal bei einer Hochzeit mit Ale betrunken hast und dein Vater dich wie einen Sack Kohle über der Schulter nach Hause tragen musste.«
»Natürlich nicht, und du wirst auch nichts dergleichen erzählen.« Sie lächelte schalkhaft. »Ich werde eine wichtige Person in der Gemeinde sein, eine Pastorenfrau, die in dem großen Haus auf dem Hügel wohnen wird. Ab sofort wirst du sehr aufpassen müssen, wie du mit mir redest, meine Liebe.«
Sie brach in schallendes Gelächter aus, doch ihr Lachen erstarb im Nu, denn Molly sah sie mit traurigen Augen an.
»Ich schätze, wir werden nicht mehr viel voneinander sehen, wenn du erst verheiratet bist«, sagte sie. »Du wirst keine Netze mehr flicken und keinen Fisch mehr einlegen – das wäre unpassend für eine Pastorenfrau.« Sie seufzte herzzerreißend. »Du wirst uns hier unten nicht mehr kennen, und uns wird es bestimmt nicht leichtfallen, dich da oben zu besuchen.«
»Du bist meine Freundin. Ich werde dich nicht links liegen lassen, nur weil ich mit Ezra verheiratet bin«, protestierte Susan, »und du weißt, dass du immer willkommen sein wirst.« Sie legte ihre Hand auf Mollys und versuchte zu lächeln, doch sie wusste, dass ihre Freundin die Wahrheit sagte. Sobald sie Ezra geheiratet hätte, wäre sie dem Leben am Kai und dem Fischgestank weit entrückt. Sie würde lernen müssen, eine Lady zu sein und sich dementsprechend zu verhalten.
»Wenigstens wirst du keine Fischschuppen mehr in der Unterhose haben«, scherzte Molly. Doch der Witz kam nicht an, und nachdem sie sich noch einmal lange angeschaut hatten, wandten sie sich wieder den Fässern zu und arbeiteten schweigend weiter.
Billy Penhalligan wartete im hohen Gras und beobachtete den Strand. Die Nacht war still, der Mond hinter den dicken Wolken verborgen, die mit der Dunkelheit aufgezogen waren. Er war schon lange hier, denn man konnte nie wissen, wann das Boot kam, und sein Magen knurrte, weil er nichts gegessen hatte. Mit seinen vierzehn Jahren wuchs er schnell, und ein Kanten altbackenes Brot und Hartkäse konnten kaum den Hunger stillen, der ständig an ihm nagte.
Er rollte sich im Gras herum und reckte sich, entspannte die verkrampften Muskeln und warf einen prüfenden Blick auf den Küstenpfad, ob er beobachtet wurde. Der Zollbeamte konnte überall in der Finsternis lauern und warten, bis die Retallick-Brüder an Land kamen. Billy grinste. Das alles gehörte zur Spannung dazu, und da er in den sechs Monaten, seit er sich mit den Retallicks eingelassen hatte, nicht erwischt worden war, genoss er den damit verbundenen Nervenkitzel.
Zufrieden damit, dass er allein war, trank er einen Schluck Rum aus der Flasche, die in seiner Gürteltasche hing, und nahm die Überwachung wieder auf.
Die Augen drohten ihm zuzufallen, als er ein Geräusch vernahm. Er hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Da war es wieder. Ein leises Platschen im Wasser und das Knirschen von Rudern waren über der Brandung gerade eben zu hören. Die Retallicks hatten es geschafft.
Er griff nach der Laterne, glitt durch das Gras und kletterte rasch über die Felsen hinunter an den Strand. Er zündete die Laterne an und schwenkte sie, um ihnen die Richtung vorzugeben. Der durchdringende Ruf einer Eule war das Zeichen, dass sie ihn gesehen hatten, und er antwortete auf die gleiche Weise. Kurz darauf watete er ins Meer, nahm das Seil und half, das Boot über den Kies an Land zu ziehen.
»Gut gemacht, Kleiner«, flüsterte Ben Retallick. »Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
Billy nickte, als der große, bärtige Mann ihn an der Schulter packte. Ben Retallick war ein gutes Stück älter als er, breiter und insgesamt ziemlich einschüchternd, für Billy aber war er ein Held. »Aber wir müssen uns beeilen. Der Himmel klart auf.«
Der große Mann schaute hoch und erteilte flüsternd Anweisungen. Billy half, die Kisten mit Brandy zu entladen, die Seidenballen, Tabakdosen und Süßigkeiten, und trug sie in die Höhle, die über der Flutmarke weit
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