Träume jenseits des Meeres: Roman
diesem unfreundlichen Wetter wären keine Spaziergänger unterwegs, die sie ausspionieren könnten …
Treleaven House, Cornwall, 1786
»Es liegt doch auf der Hand, warum du darauf bestanden hast, so bald nach unserem letzten Besuch wieder hierher zurückzukehren«, fuhr Emily ihn in der Bibliothek an. »Du bist wirklich sehr berechenbar.«
Sie waren noch keine vierundzwanzig Stunden in Cornwall, und schon ging sie ihm auf die Nerven. Jonathan lehnte sich an den verzierten Marmorkamin und trank noch einen Schluck Brandy. Er war betrunken, aber nicht so stark, dass er ihre nörgelnde Stimme hätte ausblenden können. Ihm schien, als ob diese Tirade schon Stunden andauerte. »Du musstest ja nicht mitkommen. Ich bin mir sicher, die Freuden deines tristen Londoner Wohnzimmers sind viel interessanter als alles, was ich dir bieten kann.«
»Du kannst dir deinen Sarkasmus sparen«, entgegnete sie, die Hände krampfhaft im Schoß gefaltet. »Und wenn du meinst, ich durchschaue diese Scharade nicht, dann bist du dümmer, als ich dachte.«
Er sah sie mit trüben Augen an. Endlich zeigte der Brandy seine Wirkung, und wohlige Wärme breitete sich in ihm aus. »Ich muss mich um die Angelegenheiten des Anwesens kümmern«, lallte er. »Und was immer dein verschwurbeltes Hirn sich sonst noch ausgedacht hat, ist weder hier noch da. Wenn du deinen Mund hieltest und deinen schwachen Verstand einsetztest, würdest du begreifen, dass dieses Anwesen dir genau den Luxus erhält, dem du nur zu gern frönst.«
Ihr verkniffenes Gesicht sah im hellen Sonnenstrahl, der durch das Fenster hereinkam, alt aus, und ihre grauen Augen über dem bösen kleinen Mund waren überschattet. »Ich habe gesehen, wie du die Frau dieses Pastors angesehen hast«, fauchte sie. »Ihretwegen bist du hier – nicht wegen des Anwesens.«
Jonathan nahm noch einen Schluck und stellte das zarte Glas vorsichtig wieder auf den Kaminsims, bevor er ihr antwortete. Es stimmte, er wollte Susan wiedersehen, doch die Geschäfte des Anwesens duldeten keinen Aufschub, und obwohl er es versuchen würde, bezweifelte er, dass ihm Zeit für gesellschaftliche Anlässe bliebe. »Ich bin mir sicher, ich kann sagen, was ich will, es wird dich nicht vom Gegenteil überzeugen«, sagte er matt. »Aber die Logik muss dir doch sagen, dass hier viel zu tun ist, und wenn du mir nicht glaubst, dann darfst du mich und Braddock gern begleiten, wenn wir das Anwesen morgen abschreiten.«
Sie erhob sich von der Couch, und ihre rostbraunen Röcke raschelten wie totes Herbstlaub, als sie auf ihn zuging. »Halte mich nicht für eine Närrin!«
»Das würde ich mir nie erlauben, Madam«, entgegnete er. Er nahm die Flasche in die Hand und schenkte ihr ein betörendes Lächeln. »Komm schon, Emily. Mach dich locker und trink einen Schluck. Du wirst überrascht sein, wie anders die Welt nach einem kleinen Brandy aussieht.« Er griente. »Du würdest dich zur Abwechslung vielleicht sogar mal amüsieren.«
Emily erstarrte. »In ganz England gibt es nicht so viel Brandy, um meine Ansichten über die Welt – oder über dich – zu verändern.«
Bei diesen Worten stiegen alle Verletzungen und Enttäuschungen der Vergangenheit wieder in ihm auf. »Wir beide tragen die Schuld an unserer verheerenden Ehe, Emily. Ich entschuldige mich für jede Verletzung, die ich dir im Laufe der Jahre zugefügt habe, und ich bedauere zutiefst, dass wir in einer solchen Sackgasse gelandet sind. Aber wenn du nicht immer so kalt, so scharfzüngig gewesen wärst, hätte es vielleicht anders laufen können.«
Der Schlag auf die Wange brachte ihn zum Schweigen, und er starrte sie verwirrt an. »Wofür war der?«
»Für all die Frauen, mit denen du während unserer Ehe geschlafen hast. Für die Demütigung, die ich infolge der Gerüchte zu erleiden hatte.« Sie atmete schwer, vielleicht überrascht über ihren Ausbruch. »Ich hasse dich, Jonathan. Hasse dich mit jeder Faser meines Herzens.«
Jonathan blinzelte und versuchte, seine benebelten Gedanken zu ordnen. »Das beruht auf Gegenseitigkeit, meine Liebe«, sagte er schließlich. »Ich gebe zu, ich hatte seit unserer Verehelichung zwei Mätressen, beides höchst diskrete Damen, deren angenehme Gesellschaft ich mehrere Jahre lang genoss.« Er hob die Hand, als sie ihn unterbrechen wollte. »Ich mag Frauen. Welchem Mann geht es nicht so? Besonders, wenn sein Ehebett so einladend ist wie Polareis? Mir gefällt es, zu liebäugeln, zu tanzen und Partys zu besuchen –
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