Träume jenseits des Meeres: Roman
aber ich habe immer auf deinen Ruf und den unseres Sohnes Rücksicht genommen.«
»Da habe ich ganz andere Sachen gehört«, zischte sie. »Es heißt, du hast Frauen in ganz London, und unser Sohn muss die Demütigung ertragen, dass sein Vater ein Lebemann ist.«
»Das stimmt nicht!«, brüllte er. »Diese Harpyien, die du einlädst, haben nichts Besseres zu tun, als dein selbst auferlegtes Martyrium zu nähren. Ich bin kein Lebemann. Wie kannst du es nur wagen, so etwas anzunehmen?«
»Ich gehe«, sagte sie tonlos. Sie nahm ihre Handtasche und den Schal und rauschte zur Tür. »Unser Sohn ist allein in London, und einer von uns sollte dort sein, falls er uns braucht.«
Jonathan bemerkte die Spitze, und auch das triumphierende Aufleuchten ihrer Augen entging ihm nicht. »Geh, ich bin froh, dass ich dich los bin«, brüllte er und goss sich noch einen Brandy ein, den er in einem Zug leerte. Er starrte zur Tür, die sie hinter sich geschlossen hatte, und warf das Glas wütend dagegen. »Ich werde nicht zulassen, dass du unseren Sohn gegen mich aufhetzt.«
Er nahm die Flasche Brandy und ein neues Glas und ließ sich in einen Sessel am Kamin fallen. Er hatte die Absicht, sich sinnlos zu betrinken und alles zu vergessen.
Kurz darauf hörte er tappende Schritte in der Diele, schlagende Türen und leise Stimmen. Jonathan spähte zum Fenster hinaus, als zwei Kutschen vor den Eingang fuhren. Er beobachtete mit trüben Augen, wie seine Frau aus dem Haus in den sonnigen Nachmittag trat und den Dienern knappe Befehle erteilte, wo ihr Gepäck unterzubringen sei. Als sie schließlich zufrieden schien, stiegen die Diener in die kleinere der beiden Kutschen. Ohne einen Blick zurück zu werfen, kletterte sie in ihre eigene Kutsche und befahl dem Fahrer, aufzubrechen. Hufe klapperten und Wagenräder ratterten, als die Pferde elegant die Auffahrt hinuntertrabten und seinen Blicken entschwanden.
Er hob sein Glas zu einem spöttischen Toast. »Gute Fahrt«, murmelte er. »Das ist auch die einzige Möglichkeit, denn so sicher wie das Amen in der Kirche steht fest, dass dich jedenfalls ein Mann nie in Fahrt bringen wird.« Er lachte bitter, kippte den Brandy hinunter und brach in Tränen aus.
Schließlich putzte er sich die Nase und haderte mit sich selbst wegen seiner Schwäche. So hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr geweint – aber Tränen konnten das Elend nicht wegwaschen. Seine Ehe war nicht mehr zu retten, und obwohl er in seinem Leben kaum noch emotionale Wärme kannte, da seine letzte Geliebte auch glücklich verheiratet war, hatte er sich damit abgefunden, dass es ewig so bleiben würde. Es ging darum, in Bewegung zu bleiben, seine ehrgeizigen Ziele zu verfolgen und die neuen Welten zu erforschen, die sich Jahr für Jahr auftaten. Allerdings wäre er viel zufriedener, wenn er an seiner Seite einen Menschen hätte, der ihn liebte – jemanden wie Susan, deren Gegenwart allein Licht in sein Leben bringen würde.
Er goss sich den letzten Rest Brandy ins Glas, als sein Blick auf den Brief von Josiahs Anwalt fiel. Wieder kamen ihm die Tränen, und er musste kräftig schlucken, um sie zu unterdrücken. Josiahs Tod hatte eine große Leere in seinem Leben hinterlassen.
Der alte Mann hatte allem Anschein nach neue Energie geschöpft, nachdem er von Cooks erster Expedition zurückgekehrt war, und sich in eine anstrengende Vortragsreihe gestürzt, bevor er sich hinsetzte, um ein Buch über seine Erfahrungen zu schreiben. Doch hatte sein geschwächter Körper der Grippeepidemie nichts entgegenzusetzen, die vor kurzem das Land heimgesucht hatte, so dass er ihr rasch erlag und vor ein paar Wochen im Schlaf gestorben war. Nun sah es so aus, als solle Jonathan sein beträchtliches Vermögen erben, denn der alte Mann hatte nie geheiratet.
Der Raum verschwamm vor seinen Augen, als er sich seinen Onkel am Strand mit den Kindern der Aborigines vorstellte. Da hatte er Josiah zum ersten und einzigen Mal entspannt erlebt; was für ein Bild war das gewesen, ihn hemdsärmelig und barfuß zu sehen. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, doch sein Herz verkrampfte sich. Josiah war für ihn wie ein Vater gewesen – ein kluger Berater und Freund. Er wünschte, er hätte noch einmal mit ihm reden können, um Erinnerungen an die Abenteuer auf der Endeavour auszutauschen. Doch bis auf Sir Joseph Banks waren die Männer, die ihm seine Abenteuerlust eingeflößt hatten, inzwischen tot. Cook war auf Hawaii ermordet worden, Sydney war auf
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