Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
hämmern, und er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Der Feldmarschall hatte gesagt, es würde mit Beginn des Frühjahrs losgehen. Ihm waren die wilden Glockenblumen an den Rändern der Straße aufgefallen, die sie bauten, und nach seiner Schätzung war es Ende Februar oder Anfang März. Er stieß Stanley in die Rippen. »Mach einen auf lebhaft, Kumpel«, flüsterte er. »Sonst bleibst du noch zurück.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Bess verängstigt und hob sich das kleine Kind auf die Schultern.
    »Das wirst du bald erfahren«, erwiderte er. Er tat der Frau unrecht, doch er wollte nicht, dass sich seine Kenntnisse herumsprachen. Die Kämpfe brachen am besten an Deck aus, wenn die anderen erkannten, was vor sich ging – hier unten war ohnehin schon zu wenig Platz, und er hatte erlebt, welche Verwüstung derartige Aufstände anrichten konnten.
    Schließlich waren sie an der Reihe, die Leiter zu erklimmen. Billy stützte Stan von hinten, und sobald sie an Deck waren, reichte er seine Hand Bess, die ihre liebe Not hatte, das Kleiderbündel und das Kind festzuhalten, während sie sich an die Sprossen klammerte.
    Nell war die Nächste, packte seine Hand und zog ihn beinahe zurück in den Laderaum, so kräftig war sie. »Danke, Süßer«, sagte sie fröhlich, strich ihre schmutzigen Röcke glatt, schob ihren Busen in der weiten Bluse nach oben und versuchte, ihr verblüffend rotes, wirres Haar einigermaßen in Ordnung zu bringen. »Verflixt, diese frische Luft tut meinem Haar nicht gut. Sieh es dir nur an!«
    Billy schenkte ihr ein Lächeln, das sie erwiderte, doch er bemerkte auch die Wachsamkeit in ihren Augen, und ihm wurde klar, dass sie trotz ihres herausfordernden Benehmens ebenso nervös war wie alle anderen.
    Rasch verschaffte er sich einen Überblick. An den Seiten des Schiffes waren rotberockte Soldaten, Marineoffiziere und Matrosen aufgereiht. Düster gekleidete Männer standen abseits beim Kerkermeister Cowdry. An jedem Ende des Decks bildete sich jeweils eine Reihe Gefangener; die Jungen und körperlich Gesunden standen auf der rechten, die Alten und Kranken auf der linken Seite.
    »Steht still, wenn der Arzt euch untersucht«, rief Mullins.
    Billy versteifte sich, als der Arzt ihm die Brust abhörte und sein Gebiss überprüfte. Er kam sich vor wie ein Pferd auf einer Auktion und war versucht, in die tastenden Finger zu beißen, die nach Tabak schmeckten. Er hielt sich aber zurück. Das wäre nicht klug bei so vielen Soldaten ringsum.
    »Da rüber«, befahl der Arzt mürrisch und wandte sich Stanley zu.
    Billy pochte das Herz, als er sich der Reihe auf der rechten Seite anschloss. Hieß das, er sollte deportiert oder in ein anderes Gefängnis verlegt werden? Dasselbe war schon passiert, als die Chatham sank. Damals war er noch kräftiger gewesen und hierher auf die Dunkirk geschickt worden. Die Kranken und Alten waren Gott weiß wohin gekarrt worden – war das ganze Gerede über eine Deportation nur eine List, um die Männer und Frauen loszuwerden, die nicht mehr gebraucht wurden?
    Mit quälender Unsicherheit sah er zu, wie der Arzt Stanley in die andere Reihe schickte. Nun war Bess an der Reihe, und nach kurzer Untersuchung wurde ihr befohlen, sich neben Billy zu stellen.
    Nell folgte ihr. Trotzig bauschte sie die Röcke auf, warf den Kopf in den Nacken und nahm Bess’ Kind an sich, ohne auf die Soldaten in Reih und Glied zu achten. »Da ist sie ja, unsere Süße«, lachend drückte sie das Kind an sich und wischte ihm die Tränen ab. »Fein herausgeputzt und weiß nicht wohin, so wie alle anderen hier.«
    »Nell, halt den Mund«, zischte er. »Und gib das Kind zurück, bevor du es an deinem Busen erstickst.«
    Sie reichte es der Mutter zurück und grinste. »Ich würde dich gern ersticken«, flüsterte sie.
    Der Morgen zog sich hin, und die Reihen der Gefangenen wurden dichter. Auf der Dunkirk befanden sich über zweihundert Sträflinge, und es ging nur langsam voran. Billy versuchte, Bess’ Schluchzen und das Jammern des Kindes zu überhören, konnte aber gut verstehen, warum sie so verängstigt war. Denn es hatte den Anschein, dass Stanley nicht dazugehören würde, was immer man mit ihnen vorhatte.
    Es war schon später Vormittag, als auch der letzte Gefangene untersucht und in eine der beiden Reihen geschickt worden war, wo man in stummer Ergebenheit dem Schicksalsspruch entgegensah. Es hatte keinen Kampf gegeben, nicht einmal ein Handgemenge, und bis auf das Geheul von

Weitere Kostenlose Bücher