Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
sie extra für mich dort seit Jahrzehnten aufbewahrt. Wie einen Goldschatz überreicht er mir die Sohlen für schlappe 6,- €. Das ist es mir allemal wert und kostenlos bekomme ich noch eine Ladung Deospray in meine Stiefel. Warum er das getan hat, wollte ich dann lieber nicht fragen. Wie auf Wattewolken mit Hydraulik drunter hüpfe ich aus seinem Geschäft zurück auf die Straße. Glücklich wie ein kleines Kind muss ich meine neue Errungenschaft natürlich auch direkt testen und laufe weiter, ohne mir die Herberge hier auch nur anzusehen.
Wenig später zieht sich plötzlich vollkommen unerwartet der eben noch so blaue Himmel zu und es beginnt fürchterlich zu donnern. Die Donnerstöße sind so gewaltig, dass ich die Vibration in meinem Körper spüre und mir ein wenig mulmig wird. Als ich Azofra erreiche, habe ich keinen Mut, auch nur einen Schritt weiter zu tätigen und checke in der Herberge ein. Eine absolut richtige Entscheidung! Unmittelbar danach fängt es fürchterlich an zu gewittern und zu regnen und binnen weniger Sekunden steht draußen alles unter Wasser. Die Herberge scheint ziemlich neu zu sein und ist in Zwei-Bett-Zimmer unterteilt. Ich nehme eine heiße Dusche in den wunderbar sauberen Einrichtungen und verarzte meine Blasen und Wunden sowie Hautreaktionen und Sonnenbrände.
Als ich anschließend runter in die Küche gehe, treffe ich schon wieder auf die Fahrradfahrer von gestern und heute morgen, die mich abermals wie ein Gespenst angucken. Diesmal fragen sie mich, wie ich das mache und ob ich wirklich zu Fuß unterwegs bin. Es ist nicht so, dass ich es eilig hätte oder für mein Ego bräuchte, aber irgendwie macht mir das Laufen Freude. Habe auch außer den paar Blasen und der Schürfwunde keine wirklichen Probleme. Meine Rückenschmerzen sind wieder weg, meine Füße tun auch nicht weh und seit ich täglich die Magnesiumtabletten nehme, habe ich auch keine Muskelkrämpfe mehr. Was meine mentale Verfassung betrifft, könnte nicht besser sein!
18.06.09, Donnerstag — Azofra nach Belorado
Mein Zimmergenosse namens Teemu aus Finnland stellte sich gestern Abend noch als witziger und netter Kerl heraus. 33 Jahre alt, Grafikdesigner und mit dem Fahrrad unterwegs. Eigentlich bin ich den Fahrradfahrern ja immer skeptisch gegenüber eingestellt. Die brettern den Weg in 1-2 Wochen nach Santiago durch, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Außer sportlichen Ambitionen fällt mir kein anderer Grund ein, wieso man den Camino mit dem Fahrrad zurücklegen sollte. Teemus Antwort war: „Ich liebe Fahrradfahren und habe nur 2 Wochen Zeit.“ Mit dieser Antwort kann ich leben, frage ihn aber dennoch, ob er nicht mal Lust hätte, den Weg zu Fuß zu gehen, was er mir ausdrücklich bejaht. Hätte er mehr Zeit, würde er traditionell zu Fuß pilgern. Es gibt manche Pilger, die jedes Jahr nur einen Teil laufen, dann wieder nach Hause fahren und im nächsten Jahr dort ansetzen, wo sie letztes Mal aufgehört haben. Wäre zwar nichts für mich, aber für viele scheint dies eine Lösung zu sein. Bevor wir schlafen gehen, fragt er mich, ob er seinen Wecker morgen früh stellen dürfe. Das ist echt mal nett, denke ich mir und gebe ihm volle Handlungsfreiheit. Morgens um 5:45 klingelt Teemus Wecker. Ich stehe mit ihm auf und nutze die kühlen Morgenstunden, um auch zu starten. Unten in der Küche trinken wir noch zusammen einen Kaffee, bevor ich mich verabschiede. Teemu deutet mir aber an, er werde mich sowieso gleich wieder einholen. Ich glaube es ihm aufs Wort und wandere los. Etwa 45min später taucht er auf und sein nettes, freudig grinsendes Gesicht macht mir echt gute Laune. Wir plaudern wieder über allerlei Dinge, bevor er etwa eine Stunde später wieder aufs Bike springt und weiter radelt, es aber nicht vorher versäumt, mich nach Finnland einzuladen. Ich war schon mal in Norwegen auf Trekkingtour, was ziemlich hart war.
Mehr als 5 km bis maximal 10 km waren am Tag nicht drin, selbst wenn ich den ganzen Tag gelaufen bin.
Um 11:15 Uhr erreiche ich Santo Domingo de la Calzada und mache es mir auf der Plaza des Dorfes bequem, um mein Frühstück zu mir zu nehmen. Neben mir in Sichtweite steht die berühmte Kathedrale mit dem angeblichen Gockel, der einem Glück auf der Reise beschert, sollte er beim Betreten der Kirche krähen. Dieser Aberglaube stammt von einer Geschichte, in der ein Junge zum Tode verurteilt wird. Die Eltern beteuern seine Unschuld und der Bürgermeister, der grade beim Mittagessen sitzt,
Weitere Kostenlose Bücher