Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
merke ich doch, dass alles schmerzt und ich auch die letzten Reserven aus meinem Körper rausgeholt habe. Der Hospitalero fragt mich, ob ich noch etwas essen möchte, was ich natürlich dankend annehme. Er zeigt mir die Duschen und während ich endlich meine verdiente Dusche bekomme, bereitet ein weiterer Hospitalero das Essen vor. Kaum komme ich aus dem Bad, steht der Küchenchef asiatischer Abstammung auch schon vor mir und bittet mich direkt an den gedeckten Tisch. Es gibt Bratreis mit Ei und Gemüse, dazu ein Glas Rotwein sowie Brot und Salat. Welch Zauber! Das Essen schmeckt köstlich. Ich versuche, ein Gespräch mit dem Chinesen aufzubauen, muss aber feststellen, dass er außer „si si“, „come“ und „tome“ (ja ja, iss, trink) nichts weiter sagen kann. Noch nicht überzeugt von seinem eingeschränkten Wortschatz frage ich ihn, ob er ein Glas Wasser für mich hat. Die Antwort ist „si si, tome tome“ und er deutet auf mein Glas mit Wein. Na ja gut, denke ich, er will wohl nicht so viel Abwaschen, leere mein Weinglas und gebe es ihm. Das spanische Wort für Wasser ist ihm, wie ich dann feststelle, nicht geläufig und so füllt er mir das Glas einfach noch mal randvoll mit Rotwein. Na ja, was soll’s, so schlafe ich garantiert tief und fest heute Nacht. Genau so kommt es dann auch. Kaum habe ich aufgegessen, schaffe ich es grade noch, leicht angetrunken in die Schlafräume zu taumeln und falle in einen komatösen Schlaf, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Was für ein Tag!
17.06.09, Mittwoch — Logroño nach Azofra
Irgendwann am frühen Morgen holt mich die spanische Straßenreinigung mit ihren Dampfstrahlern aus meinem Tiefschlaf. Glücklicherweise waren diese nicht auf mich gerichtet, aber der Lärm lässt mich hochschrecken. Wahrscheinlich bin ich noch von den Sprinkleranlagen des Campingplatzes traumatisiert. Ich habe bombastisch geschlafen und nichts von irgendwelchen schnarchenden Zimmergenossen mitbekommen. Vorsichtig lasse ich mich aus meinem Hochbett plumpsen und schlendere nach oben in die Küche. Der chinesische Küchenchef hat mir nämlich gestern befohlen „come come aqui, si si ?“, heute Morgen hier zu frühstücken. Gehorsam mache ich mir einen Kakao und eine Schale Müsli und geselle mich zu den übrigen Pilgern an den Tisch. Gestärkt packe ich mein Zeug zusammen, gebe meine Spende in die Donativobox und mache mich auf den Weg. Es ist alles nass draußen, also hat es letzte Nacht doch noch mal richtig geregnet. Die Temperaturen lassen darauf schließen, dass es heute wieder ziemlich heiß werden dürfte. Ich habe vor, an einem großen See, der in den nächsten Stunden kommen müsste, noch einmal zu pausieren und dann in die Rioja Weinberge einzutauchen. Durch meinen gestrigen 50 km Marathon bin ich bereits viel weiter, als ich eigentlich sein wollte. Aber was soll’s, eigentlich will ich mich nicht nach der Zeit richten und versuche, diese loszulassen. Habe bisher noch keinen Rückflug gebucht, um mir genau diese Option zu ermöglichen und auch keine anderen Verpflichtungen zu Hause, die mich zwingen, zu einem bestimmten Datum zurückzukehren. Mich überholt ein Trupp von Radfahrern, die mich anscheinend wieder erkennen und verwundert anstarren. Tja, kommt wohl nicht so oft vor, dass diese ein und den gleichen Pilger ein zweites Mal sehen.
Wenig später erreiche ich dann früher als erwartet den See. Hätte ich das gewusst, wäre ich zum campen hier hergekommen. Andererseits war es in der Herberge gestern auch nicht grade übel, um nicht zu sagen perfekt! Warme Duschen, warmes Essen, das einem serviert wird, ein Glas Rotwein und ein gemütlich weiches Bett und das alles lediglich für eine freiwillige Spende. Besser hätte ich es nicht haben können und ich bin den Hospitaleros immer noch sehr dankbar. Vor mir läuft ein Franzose mit seinem Esel, der grade seine Äpfel auf den Gehweg plumpsen lässt. Ich hole sie ein und zwinge dem Pilger ein Gespräch auf, der anscheinend alle Mühe hat, seine vierbeinige Begleitung hinter sich her zu ziehen. Das Traumpaar ist in Frankreich gestartet und bereits seit 3 Monaten unterwegs. Wie es aussieht, scheinen sie sich alle Zeit der Welt zu lassen, in Santiago anzukommen. Richtig so, denke ich mir.
Auch wenn ich mir ein Beispiel an den beiden nehme, ist mir ihr Tempo dann doch ein wenig zu langsam, so dass es für mich anstrengend ist, mit diesem Schneckentempo mitzuhalten. Ich nehme wieder mein eigenes Tempo auf und steure auf Navarrete
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