Traeume Suess, Mein Maedchen
Knochen zu schneiden wie ein Rasiermesser durch Kreide, um sie in die Knie zu zwingen. Sie bekam nur noch schwer Luft, und ihr wurde leicht schwindelig, als atmete sie etwas Giftiges ein. Der Laden um sie herum verschwamm, die einzelnen Gänge verschmolzen, Schmuck mit Herrenkonfektion, Sportbekleidung für Frauen mit Schuhen, und die Kassen purzelten gegeneinander wie eine Reihe von Dominosteinen. Würde sie ohnmächtig werden? »Hören Sie, ich kann das erklären.« Sie fuhr herum, und die schwere Hand fasste ihre Jacke fester, damit sie nicht zusammensackte.
Die Augen, in die Emma unvermittelt starrte, waren dunkelblau und lagen eng nebeneinander über einer Nase, die mehrfach gebrochen und nie ordentlich gerichtet worden war. Auf der rechten Wange hatte der Mann eine kleine y-förmige Narbe, sein dunkles Haar war kurz geschnitten. Eine Polizistenfrisur, erkannte Emma, als der Laden um sie herum aufhörte, sich zu drehen, und sie einen Namen zu dem Gesicht fand. »Jeff«, sagte sie mit einem erleichterten Seufzer.
Detective Jeff Dawson starrte sie an, als hätte er keine Ahnung, wer sie war.
»Ich bin’s, Emma. Emma Frost. Wir haben uns neulich bei Scully’s getroffen. Auf Sie werden dort große Stücke gehalten«, scherzte sie in der Hoffnung, ihm ein Lächeln
zu entlocken. »Lilys Freundin«, fuhr sie fort, als er nicht reagierte. Warum musste sie die Menschen dauernd daran erinnern, wer sie war? Sie fuhr sich mit flatternden Händen durchs Haar. »Ich habe eine neue Frisur. Wahrscheinlich haben Sie mich deswegen nicht erkannt.«
»Oh, ich habe Sie schon erkannt«, erwiderte er kühl. »Ich konnte bloß meinen Augen nicht trauen. Was zum Teufel haben Sie gemacht?«
»Es ist nicht so, wie es aussieht«, stotterte sie. »Ich wollte die Ohrringe bezahlen. Selbstverständlich wollte ich sie bezahlen.«
»Deswegen haben Sie sie auch in die Tasche gesteckt?«
»Ich hatte Angst, ich würde sie fallen lassen.«
»Und was ist mit dem Schal, den Sie tragen?«
Emmas Blick schoss zu dem grünen Chiffonschal, den sie achtlos um den Hals geschlagen hatte, und ihre Finger nestelten an dem Knoten. Das verdammte Ding fühlte sich immer mehr an wie eine Schlinge, dachte sie und zupfte den Schal vom Hals. »Ich habe ihn bloß anprobiert, weil ich mich nicht entscheiden konnte.« Sie hielt ihm den Schal hin. »Sehen Sie. Sogar das Preisschild ist noch dran, Herrgott noch mal. Meinen Sie nicht, dass ich das vorher abgemacht hätte, wenn ich das Ding hätten klauen wollen?« Würde er sie verhaften?
Die Verkäuferin mit den vielen Ohrsteckern näherte sich besorgt. »Gibt es hier ein Problem?«
Emma blickte von dem Detective zu der Verkäuferin und zurück. »Die müssen eben hinuntergefallen sein«, improvisierte sie, griff in ihre Tasche, zog die rosafarbenen Ohrringe hervor und legte sie auf den Tresen.
»Oh mein Gott. Vielen Dank.« Eilig deponierte die Verkäuferin die Ohrringe an ihrem angestammten Platz unter Glas.
Detective Dawson beugte sich vor und flüsterte Emma ins Ohr: »Und was ist mit der violetten Bluse in Ihrer Handtasche?«
Emma schloss zum Eingeständnis ihrer Niederlage die Augen und schüttelte frustriert den Kopf. »Wie lange haben Sie mich schon beobachtet?«
»Mindestens eine halbe Stunde.«
Verdammt, dachte Emma und fragte sich, ob er sie mit auf die Wache nehmen und einer Leibesvisitation unterziehen würde. Das durfte sie nicht zulassen. Nicht jetzt. Nicht, wo für sie gerade alles anfing, ein wenig einfacher zu werden. »Bitte«, flehte sie, als Jeff Dawson sie von dem Schmucktresen wegführte. »Sie dürfen mich nicht verhaften. Es würde Dylan umbringen. Er ist mein Sohn und hat jede Menge Probleme. Ich weiß nicht, was aus ihm werden soll, wenn Sie mich verhaften.« Wenn ich bloß auf Kommando weinen könnte, dachte sie. Wie diese Schauspielerinnen in den Seifenopern im Nachmittagsprogramm, die auf Stichwort losheulen konnten.
»Sie hätten früher an Ihren Sohn denken sollen«, sagte Jeff, wie sie es vorhergesehen hatte.
Bullen waren so berechenbar, dachte sie. »Ich weiß. Es war dumm. Ich war dumm. Bitte, ich flehe Sie an …«
»Sie müssen nicht betteln.« Jeff Dawson ließ Emmas Arm los und kratzte sich am Kopf. »Ich verhafte Sie nicht.«
»Was?«
»Ich sagte, dass ich Sie nicht verhafte.«
»Oh, Gott sei Dank. Ihnen sei Dank.«
»Vorausgesetzt, Sie geben alles zurück.«
»Selbstverständlich.«
»Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe Sie eigentlich sowieso
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