Traeume Suess, Mein Maedchen
habe ich dir doch schon gesagt, oder nicht?«
War das möglich, fragte Jamie sich jetzt, so wie es ihr schon in der vergangenen Nacht irgendwie gelungen war, die Geschichte zu glauben.
Sie waren zum Motel zurückgefahren, wo sie nicht die Kraft aufgebracht hatte, die Wagentür zu öffnen, sodass er ihr die Tür aufhalten, auf die Beine helfen und ihren Ellenbogen stützen musste, als sie auf wackeligen Beinen zu ihrem Zimmer gestolpert war. Dort war sie unverzüglich unter die Dusche getaumelt und hatte sich die Kleider vom Leib gerissen. Beim Anblick der Blutflecken in ihrem Slip, der dunklen Blutergüsse an ihren Brüsten, Armen und Oberschenkeln und dem getrockneten Blut an ihrem Hintern hatte sie sich noch einmal übergeben, obwohl ihr Magen so gut wie leer war. Sie hatte sich auf den kleinen weißen Fliesen des Badezimmers zusammengerollt, die Knie an die Brust gezogen und hemmungslos geweint, wobei sie den Mund auf ihr Knie gepresst hatte, um ihr Schluchzen zu dämpfen. Erst als Brad gedroht hatte hereinzukommen, hatte sie sich hochgerappelt und war unter die Dusche gestiegen, wo sie blieb, bis das Wasser kalt wurde, und noch länger, bis sie schließlich hörte, wie die Tür aufging und Brad hereinkam, seine Umrisse hinter dem durchsichtigen Duschvorhang aus Plastik verzerrt. Der wahre Brad Fisher, dachte sie, als er den Vorhang aufriss und, plötzlich gestochen scharf, das Wasser abdrehte. Der Teufel, dachte sie.
Und sie war seine Jüngerin.
Er behandelte sie überraschend sanft, tupfte sie mit sämtlichen verfügbaren Handtüchern trocken, brachte sie ins Bett und deckte sie zu, bevor er sich neben sie legte und sie in die Arme nahm, bis sie aufhörte zu zittern und sich dem Schlaf ergab.
»Jamie«, rief Brad noch einmal, und ein kalter Luftzug kam mit ihm ins Bad.
Jamie drehte das Wasser ab und hüllte sich in den Duschvorhang.
»Zeit zu gehen«, sagte er.
Sie nickte und wartete, bis er das Bad wieder verlassen hatte, bevor sie aus der Wanne stieg und sich mit einem blutverschmierten
Handtuch abtrocknete. Wohin fuhren sie, fragte sie sich. Wollte er die Reise ernsthaft fortsetzen? Als ob gestern Nacht nie geschehen wäre? Als ob sie nicht bei Laura Dennison eingebrochen wären und ihren Schmuck geraubt hätten? Als ob er sie nicht im Bett ihres Exmannes vergewaltigt hätte?
Komm schon, Jamie. So schlimm war es auch wieder nicht. Rückblickend hat es doch auch irgendwie Spaß gemacht.
Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, und Brad warf ihr ihre Jeans und ein T-Shirt sowie frische Unterwäsche herein. Jamie zog sich an, putzte sich die Zähne, bis ihr Zahnfleisch blutete, und kämmte sich die Haare, bis die Kopfhaut brannte. Kleine Blutströpfchen bildeten sich an ihren Ohrläppchen, als sie die Ohrringe abnahm und auf den Waschbeckenrand legte.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie, als sie ins Zimmer zurückkam.
Brad sah sie fragend an. »Wie meinst du das? Du weißt doch, wohin wir fahren.«
»Wir fahren immer noch nach Ohio.«
»Selbstverständlich. Ich dachte, du wolltest meinen Sohn kennen lernen.«
»Aber nach gestern Nacht …«
»Wie lange willst du noch wegen gestern Nacht rumlamentieren?«, fragte Brad ungeduldig, hielt ihr die Zimmertür auf, führte sie, ihre Reisetasche hinter sich herziehend, zum Wagen. Die Tasche holperte auf ihren Rollen über den Bürgersteig und kippte irgendwann ganz um, als ob auch sie nur widerstrebend weiterwollte. »Steig ein«, befahl Brad Jamie, die einen kurzen Moment an Flucht gedacht hatte. Denn welchen Sinn sollte das Ganze haben? Wohin wollten sie fahren?
Der Himmel war bis auf einige Schäfchenwolken am Horizont strahlend blau. Es war warm, die Luft trocken. Ein perfekter Tag, dachte Jamie, als sie den Parkplatz verließen
und sie an jeder Kreuzung nach einem Streifenwagen Ausschau hielt und angespannt auf das Heulen einer Polizeisirene lauschte. Aber sie sah und hörte nichts. War es möglich, dass Brad ihr über Mrs. Dennison die Wahrheit gesagt hatte? Dass er es geschafft hatte, sie davon zu überzeugen, dass es das Beste war, wenn sie so tat, als wäre gestern Nacht nie geschehen?
Im Radio sang eine Frau von Liebe, und Brad stimmte fröhlich ein. Er hatte eine schöne Stimme. Eine sanfte Stimme, dachte Jamie und wandte sich schaudernd ab.
»Wir sollten wahrscheinlich besser mal tanken«, sagte Brad und steuerte eine Tankstelle direkt vor der Auffahrt auf den Highway an. Er sprang aus dem Wagen und zog seine Brieftasche aus der Jeans. »Mal
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