Traeume Suess, Mein Maedchen
hysterisch.«
»Geh zum Teufel.« Jamie knallte den Hörer auf die Gabel.
In der anschließenden Stille drangen nach und nach andere Geräusche an Jamies Ohr: das Summen des Computers, Mary McTeers leicht kratzende Stimme im Gespräch mit einer Kollegin, das Klicken von Karen Romanicks Fingernägeln auf ihrer Tastatur und das rhythmische Atmen einer Person, die direkt hinter ihr stand. Jamie drehte sich auf ihrem Stuhl um und wusste schon, wer es war, bevor sie die langen Finger mit den fein manikürten Nägeln sah, die Mrs. Starkeys Markenzeichen waren. Sie tippten ungeduldig auf den Ärmel ihrer beigefarbenen Seidenbluse.
»Welch überaus interessante Art, ein Kundengespräch zu führen«, bemerkte Mrs. Starkey und starrte Jamie aus haselnussbraunen Augen hinter einer eckigen Schildpattbrille an. »Kein Wunder, dass Sie so beliebt sind.«
»Es tut mir Leid«, begann Jamie, ohne recht zu wissen, wofür sie sich entschuldigte. Dafür, dass sie so ein Idiot war, dafür, dass sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte, dafür, dass sie mit einem Fremden geschlafen hatte, oder weil sie während der Arbeitszeit Privatgespräche führte? Eins davon oder alle zusammen? Egal, sollte Mrs. Starkey sich einfach etwas aussuchen. Jamie war ihr ganzes verkorkstes dummes Leben leid.
»In mein Büro«, fauchte Mrs. Starkey, drehte sich auf den flachen Absätzen ihrer braunen Schuhe um und stapfte davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Verdammt«, sagte Jamie und starrte auf den leeren Computer-Bildschirm. »Verdammt«, sagte sie noch einmal, unfähig, sich zu rühren.
»Geh einfach rein, und höre es dir ohne Widerworte an«, riet Karen ihr aus dem Mundwinkel.
»Ich glaube nicht, dass ich das jetzt ertragen kann.«
»Ich glaube, du hast keine andere Wahl.«
»Verdammt.«
»Du entschuldigst dich, kriechst vor ihr zu Kreuze und behältst deinen Job.«
»Ich will diesen Job nicht«, sagte Jamie laut. »Was sagst du?«
Jamie stieß sich von ihrem Schreibtisch ab und sprang auf. »Ich sagte, ich will diesen Job nicht.«
»Was soll das?«
Jamie hatte begonnen, alle persönlichen Utensilien aus ihrem Schreibtisch zu räumen - ein Adressbuch, einen pinkfarbenen Lippenstift, einen Nagelschneider und eine Ersatzstrumpfhose. »Ich kündige.«
»Ohne mit Mrs. Starkey zu sprechen?«
»Sie ist eine intelligente Frau - sie wird es schon merken.« Jamie beugte sich herab, um ihre verblüffte Kollegin zu umarmen. »Ich ruf dich an, wenn der Staub sich gesetzt hat.« Und dann marschierte sie mit entschlossenen Schritten aus dem Büro.
»Willst du das wirklich machen?«, rief Karen ihr nach. »Ich meine, findest du das nicht ein bisschen überstürzt?«
Jamie sah, dass Mrs. Starkey sie aus ihrem Büro beobachtete, und genoss den fassungslosen Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Schönen Tag noch«, rief sie in die Runde und ließ die Tür hinter sich zuknallen.
Sie war vor zehn wieder zu Hause. Sie hatte kurz überlegt, beim Breakers vorbeizuschauen, sich aber eines Besseren besonnen. Wenn Brad sich mit ihr in Verbindung setzen wollte, wusste er genau, wo er sie finden konnte. Außerdem hatte er mit seinem verfrühten Aufbruch bereits alles gesagt. Und wer wollte ihm überhaupt einen Vorwurf machen? Es war ja schon schlimm genug, gleich am Abend der ersten offiziellen Verabredung mit einem Mann ins Bett zu gehen, aber sie hatte nicht mal so lange gewartet. Gleich bei der ersten Begegnung war es passiert, Herrgott noch mal. »Was ist nur mit dir los?«, murmelte Jamie, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufging. Sie winkte dem gebückten alten Mann am Ende des Flures zu, doch er starrte zurück, als
hätte er keine Ahnung, wer sie war. Vielleicht wusste er es ja wirklich nicht, dachte Jamie, hörte ihren Magen knurren und erinnerte sich daran, dass sie außer ein paar Pizzaresten nichts zu essen im Haus hatte. Sie hätte auf dem Weg Cornflakes und Milch, vielleicht sogar ein paar Eier kaufen sollen. Ein Käseomelett könnte sie sich jetzt wunderbar vorstellen. Dazu einen getoasteten Sesam-Bagel und eine Tasse starken schwarzen Kaffee, dachte sie, als ihr auf dem Flur der verlockende Duft von frisch gekochtem Kaffee entgegenwehte. Schade, dass sie ihre Nachbarn nie kennen gelernt hatte, sonst hätte sie sich jetzt auf ein Tässchen unter Freundinnen einladen können.
Aber sie hatte keine Freundinnen. Sie hatte auch keinen Job mehr. »Und Kaffee habe ich auch keinen«, jammerte sie, schloss ihre Wohnungstür auf und
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