Traeume Suess, Mein Maedchen
einen Zettel. »Ja, wir haben mehrere Stepper, einige Crosstrainer und eine große Auswahl an Gewichten und Hanteln.« Sie spähte durch die Scheibe auf die ziemlich dürftige Auswahl alter Geräte. »Außerdem gibt es Benchpress, ein Rudergerät und ein Ergometer. Nein, einen Gravitron haben wir nicht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass einfache Geräte effektiver sind«,
improvisierte Lily hastig. Was erwarten Sie für den Preis, wollte sie fragen, verkniff es sich aber. »Außerdem bieten wir eine persönliche Trainingsberatung und -begleitung an, um das Programm auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Ja, das ist in der Aufnahmegebühr inklusive. Gut. Vielen Dank, Mrs. Troper. Dann freue ich mich, Sie zu sehen. Okay. Danke.« Sie legte auf. »Arlene Troper sagt, dass sie im Laufe des Nachmittags vorbeischauen will.«
»Es ist der kostenlose Kaffeebecher«, sagte Jan lachend. »Damit kriegt man sie jedes Mal.«
Obwohl Jan lächelte, erkannte Lily, dass sie sich Sorgen machte. Die Zahl der Mitglieder hatte spürbar abgenommen, seit Art Scully in einem Einkaufszentrum nur ein paar Straßen entfernt ein Konkurrenzstudio eröffnet hatte. Arts Studio war größer und warb mit neueren und besseren Geräten. Auch er lockte mit einer ermäßigten Aufnahmegebühr und einem kostenlosen T-Shirt - aber einen kostenlosen Kaffeebecher gab es bei ihm nicht, wie Jan eilig betonte.
Jan hängte ihre große geblümte Tasche über die Schulter, warf einen langen kritischen Blick auf ihr Spiegelbild in der Vitrine mit den Pokalen und ging zur Tür. »Wir sehen uns nachher«, sagte sie. »Welches Buch sollten wir für heute Abend gelesen haben?«
Lily seufzte. Die fünf Frauen, aus denen ihr Lesezirkel bestand, sollten eigentlich gut vorbereitet erscheinen, zumindest aber das zu diskutierende Buch gelesen haben. »Sturmhöhe«, erklärte Lily ihr.
»Oh super. Das habe ich in der Schule gelesen. Cathy und dieser Typ, Clifford …?«
»Heathcliff.«
»Genau. Gute Story. Egal. Ich bin jetzt weg. Drück mir die Daumen.«
»Wofür soll ich dir die Daumen drücken?«, fragte Lily.
Aber die Eingangstür war schon zugefallen, sodass ein
Winken von Jans langen orangefarbenen Nägeln ihre einzige Antwort blieb.
»Viel Glück«, rief Lily ihr mit Verspätung nach und hoffte, dass Jan nicht im Begriff stand, eine Dummheit zu begehen. Zum Beispiel einen weiteren Arzt wegen einer Straffung der Stirn zu konsultieren, wie sie sie auf Zeitschriftenfotos von Catherine Zeta-Jones erkannt zu haben glaubte. Kein Mensch könne ohne chirurgische Hilfe so gut aussehen, hatte sie bemerkt.
»Das ist unnatürlich«, hatte sie verkündet und noch hinzugefügt: »So was kommt in der Natur nicht vor.«
Lily ging zu der kleinen schwarzen Ledercouch und ordnete die Zeitschriften, die achtlos auf dem quadratischen Beistelltisch aus Eichenholz verstreut waren. Von einem Titelbild lächelte Julia Roberts sie an, von einem anderen Gwyneth Paltrow. Beide wirkten unfassbar schön, obwohl Lily auch schon Fotos von Gwyneth im Jogginganzug und mit Yogamatte gesehen hatte, auf denen sie nicht ganz so umwerfend rüberkam, und selbst Julia wirkte bisweilen müde, blass und ausgezehrt, wenn sie nicht gestylt war.
»Eine wirklich schöne Frau erkennt man daran, dass sie nicht immer schön aussieht«, hatte Lilys Mutter ihr einmal erklärt.
Es war einer der Sinnsprüche ihrer Mutter, die auf den ersten Blick sehr tiefgründig klangen, bei genauerer Betrachtung jedoch nicht viel Sinn ergaben. Trotzdem fand Lily diese Worte immer tröstlich, so wie sie in der hausgemachten Weisheit und dem gesunden Menschenverstand ihrer Mutter immer Trost gefunden hatte. Wenn ich meinem Sohn nur halb so viel Trost geben kann wie meine Mutter mir, kann ich mich glücklich schätzen, dachte sie, wünschte sich, dass ihre Mutter jetzt bei ihr sein könnte, und spürte erneut die Endgültigkeit des Verlustes. So vieles war für immer verloren, dachte sie und kämpfte gegen plötzliche Tränen an. Ihre Mutter hatte alles zusammengehalten, nachdem Kenny
in jener schrecklichen, regennassen Nacht die Kontrolle über sein Motorrad verloren hatte und ganz in der Nähe ihres Hauses gegen einen Baum am Straßenrand gerast war. Ihre Mutter war es gewesen, die sie in den Momenten ihrer tiefsten und dunkelsten Verzweiflung in den Armen gewiegt und ihr immer wieder versichert hatte, dass Kennys Tod nicht ihre Schuld war.
Und Lily hätte ihr beinahe geglaubt.
Beinahe.
Das Telefon klingelte, und sie
Weitere Kostenlose Bücher