Traeume Suess, Mein Maedchen
Jan Scully, nahm den Kaffee entgegen, riss gierig den Deckel ab und schlürfte den heißen Schaum. »Woher wusstest du, dass ich mich den ganzen Morgen genau danach gesehnt habe?«
»Weil du dich immer danach sehnst«, erklärte Lily der 42-jährigen Besitzerin von Scully’s.
Alles an der Frau war prachtvoll übertrieben, angefangen mit ihrer Größe - Jan maß gut 1,80 Meter - über die vollen, regelmäßig aufgespritzten, orangefarbenen Lippen und den dick aufgetragenen, türkisfarbenen Lidschatten bis hin zu dem rauen Lachen, das wie Donnerhall durch ihren ganzen Körper dröhnte. An der Wand hinter dem Tresen hingen Fotos von Jan in ihrer Blütezeit - zumeist in knappen Bikinis irgendeinen Bodybuilding-Pokal über ihre Mähne extravaganter roter Locken reckend. Die Trophäen selbst - Messingschalen, Silberpokale, gravierte Steine - waren in einer verschlossenen Vitrine ausgestellt, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Jan trug wie üblich ein ärmelloses graues T-Shirt, um ihre nach wie vor wohlgeformten Arme und ihren harten Bizeps zu zeigen, dazu eine tief
sitzende Jogginghose, die ihren unglaublich flachen Bauch zur Geltung brachte. Auf Brust und Hintern prangte jeweils das knallpinkfarbene Scully’s -Logo, was die Botschaft vermitteln sollte, dass eine Mitgliedschaft in dem Studio mit einem ähnlich faltenfreien Körper wie dem ihren belohnt würde.
Lily verstaute ihre Einkaufstasche hinter dem Tresen, zog sich einen von zwei Barhockern heran und warf einen beiläufigen Blick in das eigentliche Fitnessstudio, das hinter einer Glaswand lag. Sie zählte insgesamt sechs Personen, fünf Frauen und einen Mann, die die diversen Geräte benutzten, und lächelte. Sie wusste, was die Leute nicht wussten: Auch wenn Jan für eine über 40-Jährige durch das regelmäßige Training einen wirklich tollen Körper hatte, waren die kürzlich erfolgte Bauchstraffung und die Brustvergrößerung ungleich effektiver gewesen, ganz zu schweigen von der umfänglichen Fettabsaugung an Hüften und Oberschenkeln. »Ab einem bestimmten Alter nützt einem Training allein auch nichts mehr«, hatte Jan ihr mit ihrer tiefen, heiseren Stimme anvertraut, die auf eine wilde, ausschweifende Jugend schließen ließ, und Lily zur Verschwiegenheit verpflichtet. Es hatte natürlich auch geholfen, dass Jan keine Kinder hatte, dachte Lily und tätschelte ihr eigenes Bäuchlein. Nein, Jans Kind war das Studio, das sie sich in einem verbissenen Sorgerechtsstreit mit ihrem zukünftigen Exmann erkämpft hatte, einem muskelstrotzenden, steroidbenebelten Mistkerl, der sie wegen der 23-jährigen Sprechstundenhilfe des Schönheitschirurgen verlassen hatte, der vor kurzem die Tränensäcke unter Jans ungläubigen Augen entfernt hatte.
Andere hätten sich möglicherweise an der Ironie der Geschichte erfreut, aber Lily weigerte sich, derart über andere herzuziehen. Jan hatte ihr einen Job gegeben, als sie neu nach Dayton gekommen war, obwohl sie keinerlei Berufserfahrung hatte vorweisen können. Allein dafür verdiente
die Frau Lilys ganze Sympathie, genau wie den Café Latte, den Lily ihr jeden Tag kaufte. »Wie läuft’s?«, fragte Lily, als Jan ihren Kaffee ausgetrunken hatte und ihre Sachen zusammensuchte.
»Direkt nachdem ich aufgemacht habe, war ein Riesenbetrieb. Stan Petrofsky war sogar schon vor mir hier und hat an der Tür gerüttelt. Er hat bestimmt eine neue Freundin.« Sie lachte ihr dröhnendes Lachen und blickte zum Trainingsraum. »Seitdem hat der Andrang ein bisschen nachgelassen.«
Das Telefon klingelte, und Lily nahm ab. »Scully’s«, sagte sie lächelnd. »Ja, selbstverständlich haben wir geöffnet. Montag bis Samstag von sieben bis zweiundzwanzig Uhr und sonntags von acht bis sechs. Hm-hm. Ja, das kann ich auf jeden Fall machen«, fuhr Lily auf die Anfrage des Anrufers nach weiteren Informationen fort. »Nun, eine Mitgliedschaft kostet normalerweise eine Aufnahmegebühr von fünfhundert Dollar plus dreißig Dollar pro Monat, aber zurzeit gilt ein Sonderangebot mit einer ermäßigten Aufnahmegebühr von nur zweihundertfünfzig Dollar. Plus die dreißig Dollar im Monat, ja.«
»Vergiss nicht, den kostenlosen Kaffeebecher und das T-Shirt zu erwähnen«, sagte Jan.
»Und einen Kaffeebecher sowie ein T-Shirt gibt es gratis dazu«, fügte Lily gehorsam an.
»Lass dir den Namen geben«, ermahnte Jan Lily, was diese gerade tun wollte.
»Darf ich Ihren Namen notieren?« Lily nahm einen Stift und kritzelte Arlene Troper auf
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