Traeume Suess, Mein Maedchen
Männer gehabt. Männer mit Makeln waren ihr immer lieber gewesen. »Wie bist du zu der Narbe gekommen?«, fragte sie. »Wenn ich das fragen darf.«
»Gerne«, erklärte er ihr. »Eine Messerstecherei mit einem unter Drogen stehenden Dealer.«
»Oh mein Gott. Wirklich?«
»Nein.« Seine Augen funkelten listig im weichen Kerzenlicht. »Aber das wollte ich immer schon mal sagen. Klingt so dramatisch, findest du nicht auch?«
»Ich war nie ein großer Fan von dramatisch.«
»Nicht. Dann ist’s ja gut, weil die Wahrheit nämlich sehr banal ist.«
»Was denn?«
»Ich hatte einen kleinen Tumor, der an einem Nerv auf meinem Wangenknochen gewachsen ist. Vor zehn oder elf Jahren. Er musste herausgeschnitten werden.«
»Klingt beängstigend.«
»Aber nicht so beängstigend wie die Vorstellung, einen Messer schwingenden, unter Drogen stehenden Dealer zu überwältigen, aber ja, ich nehme an, es war eine Zeit voller Angst«, gestand er. »Das verdammte Ding war zum Glück gutartig. Also …«
»Also«, wiederholte Lily, spießte ein Salatblatt auf und vergewisserte sich mehrmals, dass sie sich ihre melonenfarbene Bluse nicht mit Dressing bekleckert hatte. Was absolut typisch für sie wäre, dachte sie, strich eine Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr und fragte sich, ob Jeff sich genauso wohl fühlte wie sie.
Das Restaurant war wunderschön und hielt alles, was die Lobeshymnen in den Zeitungen versprochen hatten. Intim, aber nicht beengend, romantisch, aber geschmackvoll, kultiviert, ohne prätentiös zu wirken. Im Hintergrund lief leise Jazzmusik. Überall standen frische Blumen. Und das Essen war fantastisch, obwohl Lily sich beim Anblick der Preise fast verschluckt hätte.
»Also«, sagte Jeff noch einmal, und sie lachten. »Habe ich dir schon gesagt, wie schön du heute Abend aussiehst?«
Lily spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Wieder strich sie unnötigerweise ihr Haar hinter das linke Ohr und starrte dann auf ihren Teller. »Ja, hast du.«
»Ist es okay, wenn ich es noch einmal sage?«
»Nur zu.«
»Du siehst schön aus.«
Lily lächelte, bevor sie das Kompliment mit einer Handbewegung abtat.
»Du glaubst mir nicht?« Jeff beugte sich vor und legte seine kräftigen Unterarme auf den Tisch.
»Na ja, fünf Pfund weniger würden mir gut zu Gesicht stehen.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Mindestens fünf Pfund.«
»Absolut nicht.«
»Also, das ist wirklich nett von dir, aber …«
»Hey, ich bin Polizist. Ich lüge nie.«
»Wirklich nicht?«
»Na ja, wahrscheinlich lüge ich manchmal, wie alle anderen auch.«
»Zu welchen Gelegenheiten?«
»Was?«
»Zu welchen Gelegenheiten lügst du?«
Jeff legte seine Gabel ab, blickte zur Decke und dachte offenbar ernsthaft über die Frage nach. »Na, im Job lüge ich, um an Informationen oder ein Geständnis zu kommen.«
»Kannst du das denn mit deinem Gewissen vereinbaren?«
»Unbedingt. In der Verfassung steht nirgendwo, dass ich im Umgang mit Dieben und Mördern ehrlich sein muss.«
»Hast du oft mit Mördern zu tun?«
Er zuckte die Achseln. »Nicht allzu häufig. Statistisch gesehen ist Mord nach wie vor eine seltene Begebenheit.«
»Gott sei Dank.«
»Die Mörder, mit denen ich zu tun hatte, waren nicht groß anders als du und ich. Zumindest oberflächlich.«
»Und unter der Oberfläche?«
»Nun, das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Auf die Umstände. Wie soll ich das erklären?« Er sah sich in dem vollen Lokal um, als halte er Ausschau nach einem Bekannten. »Okay, siehst du das Paar dort in der Ecke?«
Lily blickte unauffällig nach rechts. »Der Mann mit dem Bart und die Frau in dem gepunkteten Kleid?«
Jeff nickte. »Okay, angenommen, du liest morgen in der Zeitung, dass Mr. Bart wegen der Ermordung von Mrs. gepunktetem Kleid verhaftet worden ist.«
»Okay«, sagte Lily, warf einen weiteren verstohlenen Blick auf das Paar mittleren Alters und fragte sich, ob sie
eine Ahnung hatten, dass sie Gegenstand solch unappetitlicher Spekulationen waren.
»Okay, hier ist Szenario Nummer eins: Bart sagt Pünktchenkleid, er müsse nach dem Essen noch ein paar Stunden ins Büro; Pünktchenkleid geht nach Hause; Bart arbeitet eine Weile, beschließt, dass er genug hat, und kommt früher als erwartet heim; er betritt das Haus und trifft Pünktchenkleid mit seinem besten Freund im Bett an; er rastet aus und verteilt die Pünktchen auf allen Wänden.«
»Ein Verbrechen aus Leidenschaft«, sagte Lily, stellte sich Pünktchen auf der dunkelvioletten
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