Traeume Suess, Mein Maedchen
sei, sagte die Direktorin.
Ein halbes Jahr später wurde ihre Mutter entlassen, fand einen anderen Job und zwang Emma, auf eine andere Schule zu gehen. Emma färbte sich die Haare, veränderte die Schreibweise ihres Namens und erzählte allen, dass ihre Mutter an Krebs sterben würde. Eine Zeit lang gewann sie so eine gewisse Akzeptanz. Aber dann rief irgendein guter Samariter von Beratungslehrer ihre Mutter an und fragte, ob er ihr in dieser schwierigen Zeit irgendwie beistehen könnte, und Emma wurde als Betrügerin und Lügnerin entlarvt. Ein paar Tage später traf sie ein paar alte Klassenkameradinnen aus Bishop Lane. »Stimmt es, dass dein Busen so groß ist, weil du zwölf BHs trägst?«, fragte eines der Mädchen.
Als Antwort schlug Emma ihr ins Gesicht. »Geschieht ihr ganz recht«, schnaubte Emma in Erinnerung an das viele Blut und goss sich den Rest Wein aus der Flasche ein. Natürlich war die Schule informiert und ihre Mutter benachrichtigt worden. Wieder wurde die Polizei gerufen, aber zum Glück wurde erneut keine Anzeige erstattet. »Du hast Glück«, hatte sie der Beamte aufgeklärt, der sie in Gewahrsam genommen hatte und ihr einen Vortrag über ihren Lebenswandel gehalten, bevor er sie aufgefordert hatte, ihm auf dem Rücksitz des Streifenwagens einen zu blasen.
Und nun hütete sie den Sohn der einzigen Freundin, die sie seit Jahren gefunden hatte, damit diese Freundin mit einem - tata! - Bullen ausgehen konnte. Eine weitere kleine Ironie des Schicksals. Genauso wie die Tatsache, dass
Emmas Mutter, kurz nachdem Emma eine unglückliche Ehe eingegangen war, tatsächlich an Krebs gestorben war. Emma rappelte sich hoch, als wollte sie vor dem Mann fliehen, den sie geheiratet hatte. Du kannst fliehen, doch du kannst dich nicht verstecken, ging es ihr durch den Kopf, während das Zimmer um sie herum sich drehte. Sie ließ sich rasch wieder auf das Sofa sinken. Wohin wollte sie überhaupt? Egal wie schnell sie rannte und wie weit sie fuhr, ihre Vergangenheit kam immer mit. Sie konnte so viele Neuanfänge versuchen, wie sie wollte. Am Ende würde sie doch immer wieder am selben Ort landen.
13
»Noch einen Schluck Wein?« Jeff Dawson griff an der cremefarbene Kerze auf dem rosafarbenen Leinentischtuch vorbei nach der Flasche teurem Merlot.
Lily schüttelte den Kopf, überlegte es sich aber schnell anders. Wie oft bot sich dieser Tage die Chance, mit einem netten Mann in einem schicken Restaurant ein Glas guten Wein zu trinken? Und wer wusste, wann es wieder geschehen würde. »Okay. Nur einen Schluck.«
Jeff goss zwei Finger breit Wein in ihr Glas, bevor er sich selbst die gleiche Menge nachschenkte. »Wie ist dein Lachs?«
»Fantastisch. Und dein Lamm?«
»Perfekt.« Jeff schnitt ein Stück ab, balancierte es auf seiner Gabel und bot es ihr über den Tisch hinweg an, wobei seine burgunderrote Krawatte um seinen muskulösen Hals spannte. Sogar der maßgeschneiderte dunkelblaue Blazer, den er über einem hellblauen Hemd trug, konnte den gewaltigen Brustkorb und die muskulösen Arme nicht recht verbergen. »Hier. Probier mal.«
Lily machte den Mund auf und ließ sich füttern. »Oh, das ist wirklich gut. Möchtest du meinen Lachs auch probieren?«
»Nein, ich bin kein großer Fischesser«, gestand Jeff beinahe schuldbewusst. »Ich gebe meiner Mutter die Schuld dafür.«
»Ja klar. Mütter sind an allem schuld.«
Jeff lachte. »Sie war eigentlich eine ganz tolle Mutter, bloß keine große Köchin vor dem Herrn. Und ich fürchte, das
einzige Fischgericht, das sie je zubereitet hat, waren diese schrecklichen Lachspasteten, die ich gehasst habe.«
»Die mochte ich auch nie.«
»Deshalb bin ich nie auf den Geschmack gekommen.«
»Noch ist es nicht zu spät.« Lily zeigte auf den Lachs auf ihrem Teller.
»Nee. Ich bin vermutlich eher der Fleisch-und-Kartoffeln-Typ.« Wie zur Bekräftigung schob er sich ein weiteres Stück Fleisch in den Mund.
Lily sah ihm beim Kauen zu und genoss das begeisterte Mahlen seiner Kiefer. Er hat einen netten Mund, dachte sie, während ihr Blick von seinen weichen, vollen Lippen über die zweifach gebrochene Nase und die kleine y-förmige Narbe auf seiner rechten Wange wanderte, bis er verharrte, um den geradlinigen Ausdruck in seinen eng zusammenstehenden, dunkelblauen Augen zu bewundern. Nicht direkt gut aussehend, nicht einmal annähernd gut aussehend und seltsamerweise gerade deshalb umso attraktiver. Lily hatte nie eine besondere Vorliebe für gut aussehende
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