Traeume Suess, Mein Maedchen
hatte ihre Aufs und Abs.«
Er nickte verständnisvoll. »Trotzdem muss der Unfall ein schrecklicher Schock für dich gewesen sein.«
»Ja, das war er«, hörte Lily sich sagen, obwohl ihre Stimme entfernt und substanzlos klang wie ein Echo bei seiner dritten Wiederholung. »Ich weiß noch, wie der Polizist zu uns gekommen ist. Ich kann mich an den Gesichtsausdruck meiner Mutter erinnern, als wir zum Krankenhaus aufgebrochen sind. Ich erinnere mich, dass der Polizist gesagt hat, wir sollten uns darauf vorbereiten, dass Kennys Gesicht schwer deformiert war, weil er keinen Helm getragen hatte. Man sagte uns, dass er praktisch jeden Knochen gebrochen hatte, aber wie durch ein Wunder noch lebte. Wir sind ein paar Minuten vor seinem Tod im Krankenhaus eingetroffen.«
»Das tut mir Leid.«
»Es war meine Schuld«, sagte Lily tonlos.
»Deine Schuld? Wie soll ein Unfall deine Schuld gewesen sein?«
»Weil wir uns gestritten hatten. Den ganzen Nachmittag.«
Jeff streckte seine Hand über den Tisch und legte sie auf ihre. »Menschen streiten, Lily. Deswegen ist das, was mit Kenny passiert ist, nicht deine Schuld.«
»Du verstehst nicht. Er war so aufgewühlt. Ich hätte ihn nie auf das Motorrad steigen lassen dürfen.«
»Hättest du ihn aufhalten können?«
»Nein«, gab Lily zu und zog ihre Hand unter seiner weg, um sich ein paar Tränen von der Wange zu wischen. »Tut mir Leid. Können wir über etwas anderes reden?«
»Selbstverständlich. Und ich sollte mich bei dir entschuldigen.«
»Wofür?«
»Dafür, dass ich mich in fremde Angelegenheiten gemischt habe.«
»Du bist Polizist«, erinnerte sie ihn. »Ich vermute, so was ist Teil der Arbeitsplatzbeschreibung.«
»Das ist sehr nett von dir«, sagte er. »Und worüber möchtest du gern reden?«
Lily sah auf die Uhr. »Also, eigentlich ist es schon ziemlich spät. Wahrscheinlich sollte ich mich langsam auf den Heimweg machen.«
»Jan hat mir erzählt, dass Michael bei einem Freund übernachtet.«
»Die gute alte Jan«, bemerkte Lily und nahm sich vor, am nächsten Morgen ein Wörtchen mit ihr zu reden. »Was hat sie dir sonst noch erzählt?«
»Dass du die beste Angestellte bist, die sie je hatte, obwohl du eigentlich Schriftstellerin werden willst.«
Lily nickte und fragte sich, wie oft man wirklich das bekam, was man sich wünschte. »Können wir diese Diskussion auf ein anderes Mal verschieben? Ich habe Emma gesagt, dass ich versuchen würde, auf dem Heimweg noch mal bei ihr reinzuschauen, um zu sehen, wie die Jungen zurechtkommen.«
»Ist Emma diejenige, die ich gestern getroffen habe? Die mit den Maybelline-Augen?«
Irrte sie sich, oder hörte sie einen leicht zynischen Unterton in Jeffs Stimme? »Du klingst, als würdest du ihr nicht glauben.«
Jeff zuckte die Achseln. »Schon vergessen, ich bin Polizist. Es gehört zu meiner Arbeitsplatzbeschreibung, argwöhnisch zu sein.«
»Glaubst du, sie lügt?«
»Ich weiß nicht.«
»Warum sollte sie lügen?«, beharrte Lily.
»Ich weiß nicht«, sagte er noch einmal. »Vielleicht lügt sie ja gar nicht.«
Na, da hast du doch bestimmt einen Haufen Geld verdient, hörte sie Jan sagen. Was machst du dann in der Mad River Road?
»Die Modelbranche ist nicht der sicherste Beruf, den es gibt«, versuchte Lily die Zweifel zu zerstreuen. »Man kann heute heiß begehrt sein und wird morgen schon eiskalt abserviert.«
»Das hat auch niemand bezweifelt.«
»Sie hat sogar eine Geschichte für die Cosmopolitan darüber geschrieben.«
»Wirklich? Hast du sie gelesen?«
»Nein. Warum? Glaubst du, dass das auch gelogen ist?«
»Ich habe bloß gefragt, ob du ihre Geschichte gelesen hast.«
»Nein, habe ich nicht. Aber warum sollte sie so etwas erfinden?«
»Um dich zu beeindrucken«, schlug Jeff vor.
»Mich beeindrucken?«
»Ein bisschen so wie der Fisch, der noch vom Haken geschlüpft ist.«
Lily zuckte mit den Schultern. Der Gedanke, dass ihre neue Freundin sie anlügen könnte, war ihr unbehaglich.
»Ich mach dir einen Vorschlag«, sagte Jeff, griff in seine Jackentasche und zog sein Handy heraus. »Warum rufst du deine Freundin nicht an und vergewisserst dich, dass es den Jungen gut geht. Wenn es ein Problem gibt, fahre ich dich sofort nach Hause. Wenn nicht, nehmen wir noch einen Nachtisch. Ich habe gehört, der Schokoladenkuchen hier sei nicht von dieser Welt.«
Lily nahm ihm das Telefon aus der Hand und tippte rasch Emmas Nummer ein. Es klingelte ein Mal, zwei Mal, drei Mal, bevor beim vierten
Weitere Kostenlose Bücher