Traeume Suess, Mein Maedchen
gern mal ihre Haare in die Hände kriegen und sie ins 21. Jahrhundert ziehen. Und die ganzen Pokale!«
»Ziemlich beeindruckend.«
»Ich habe gehört, ihr Mann hat sie wegen einer Schönheitschirurgin verlassen.«
»Ich glaube, es war die Arzthelferin«, korrigierte Emma sie.
»Das ist bestimmt interessant, glauben Sie nicht auch? Für einen Schönheitschirurgen zu arbeiten.«
»Ach, eigentlich nicht. Ich habe das mal ein paar Jahre lang gemacht«, sagte sie und dachte: Geht das schon wieder los. »So interessant war es auch nicht. Bis auf die Filmstars unter den Patienten natürlich.«
»Echt? Wer denn zum Beispiel?«
Emma schüttelte den Kopf. Würde sie es nie lernen? »Das darf ich wirklich nicht sagen.«
Christy zog ein enttäuschtes Gesicht, das aussah wie eine Kopie von Dylans Miene, wenn er seinen Willen nicht bekam. »Und was haben die ganzen Filmstars hier in Ohio gemacht?«
»Ich habe damals noch in Kalifornien gelebt.«
Christys Gesicht sagte: Klar, das hätte ich mir denken können. »Sie ziehen vermutlich oft um.«
»Glaub schon.«
»Dann haben Sie immer neuen Stoff, über den Sie schreiben können.«
»Mag sein«, sagte Emma, der die Unterhaltung langsam langweilig wurde. Das war das andere Problem mit dem Lügen. Es war anstrengend. Sie schloss die Augen und grunzte in angemessenen Abständen, um zu zeigen, dass sie weiter zuhörte, während sie sich in Wahrheit längst aus dem nunmehr einseitigen Gespräch ausgeschaltet hatte. Christy bemerkte es offenbar nicht, und wenn, machte es ihr nichts aus. Sie plapperte die ganze Zeit unverdrossen weiter, ihre Stimme war wie ein Beruhigungsmittel, das Emma in einen Zustand seligen Halbschlafs versetzte.
Emma malte sich aus, auf einer rosafarbenen Luftmatratze liegend auf einem klaren blauen Meer zu treiben. Die Reggaemusik aus dem Lautsprecher wurde zu einer Band, die live auf dem Oberdeck einer Yacht in der Nähe spielte, wo eine Party in vollem Gange war. Jemand warf ein Glas Sekt über Bord, Emma fing es auf und prostete dem gut aussehenden Kapitän des Schiffes zu, während ein heißer Wind in ihr Ohr blies und Meerjungfrauen mit ihren Haaren spielten.
»Und, was meinen Sie?«, fragte eine Stimme, die wie ein Skalpell in ihre Träume schnitt.
Emma schlug die Augen auf, während Christy den Föhn auf den Tisch legte. Sie beugte sich auf ihrem Stuhl vor und staunte über ihren neuen, etliche Zentimeter kürzeren, klar konturierten und an den Seiten sanft abgestuften Schnitt. »Sehr schön. Ich bin begeistert.«
Christy lächelte stolz, als sie Emma den schwarzen Umhang abnahm. »Wollen Sie Ihren nächsten Termin schon machen? In etwa sechs Wochen, würde ich sagen.«
Sechs Wochen? Emma versuchte sich zu erinnern, wann sie zum letzten Mal etwas so lange im Voraus geplant hatte. Denn wer wusste schließlich, wo sie in sechs Wochen sein würde? Trotzdem fühlte sie sich zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr wenn nicht sicher, so doch ein wenig gefestigter. Sie war nicht glücklich, aber doch zumindest ein wenig zuversichtlich. Ihre Welt kam ihr nicht mehr so isoliert und verschlossen vor, sondern schien sich vielmehr auszuweiten. Sie hatte eine neue Freundin und würde vielleicht weitere kennen lernen. Und was noch wichtiger war, ihr Sohn hatte einen neuen Freund. Vielleicht würden seine Albträume bald aufhören, genau wie der Albtraum, der das letzte Jahr für sie beide gewesen war. Sie lächelte ihr Spiegelbild an. Um sich das Gefühl zu vermitteln, dass die Welt eigentlich ganz in Ordnung war, gab es doch nichts Besseres als eine neue Frisur. »In sechs Wochen. Klar. Warum nicht?«
Emma schwebte aus dem Salon und blieb vor dem Fenster von Marshalls-Discount-Warenhaus stehen - jetzt noch eine neue Frühlingsgarderobe zu dem neuen Haarschnitt, dachte sie sehnsüchtig -, bevor sie widerwillig weiterging. Sie kam bei Scully’s vorbei und winkte Jan zu, die mit einem orangefarben leuchtenden Stirnband, passend zu knallorangefarbenen Lippen, hinter dem Empfangstresen stand.
Jan winkte sie lächelnd herein. »Hi. Schon mal über eine Mitgliedschaft nachgedacht? Wir haben ein Einführungssonderangebot. Nur zweihundertfünfzig Dollar Aufnahmegebühr und dreißig Dollar Monatsbeitrag, dazu gratis einen Kaffeebecher und ein T-Shirt.« Sie griff unter den Tresen und stellte einen großen schwarzen Becher mit der goldenen Aufschrift Scully’s auf den Tresen.
Emma lachte. Gab die Frau nie auf? »Ich war gerade bei
Natalie’s. Hab mir die
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