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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Die Kommunikation wäre direkt und vollkommen. Er wollte ihr von Dad und Jasmeet erzählen. Ja. Das musste sein. Aber plötzlich war ihm aufgegangen: Vielleicht war Vater tatsächlich einer Sache auf der Spur gewesen. Hier in Indien, in diesem Sturm. War womöglich gar allem auf der Spur gewesen.
    Johns Gedanken machten plötzlich einen Sprung: Vater hatte absichtlich die Kontrolle aufgegeben, war absichtlich in alleseingetaucht. War das sein Experiment gewesen? Es war albern. Als Wissenschaftler war Dad lächerlich. Er hätte lieber Theaterstücke schreiben sollen wie sein Bruder, bei seinen Imitierkünsten. Ich werde in Indien bleiben und Vaters Arbeit fortsetzen, könnte er zu Mutter sagen. Aber wie kam er bloß auf so einen Gedanken? Das ist das Gegenteil von dir, das Gegenteil von dem, was du sagen willst!
    John wollte seine Mutter mit nach London nehmen. Er musste prüfen, dachte er, was sich noch alles auf Dads Rechner befand. Vielleicht gab es irgendwo eine Erklärung. Es war die reine Zeitverschwendung gewesen, diese ganzen E-Mails zu lesen. Wen kümmerten schon Dads Gefühle zu diesem Mädchen? Vielleicht war es richtig, sie zu ficken. Vielleicht war das auch ein Experiment. Jasmeet war schön. Vielleicht werde ich sie auch ficken. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass sich sein Gemütszustand jederzeit wieder ändern konnte und er wieder so denken würde, wie er vor wenigen Sekunden noch gedacht hatte. Es war eine Schande. Absurd. Du liebst Elaine. Er war wütend. Er würde nicht wissen, was er fühlte oder wer er war, ehe er nicht den Mund aufgemacht und mit Mutter gesprochen hatte.
    »Wann kommt der Fahrer wieder?«, wollte er wissen. »Wo ist er?«
    »Wir müssen warten, Mr. John. Sie sollten Geduld haben. Bei einem solchen Sturm fahren sie nicht. Sie suchen Schutz.«
    John bemühte sich still zu sitzen, aber er hatte das Bedürfnis, sich zu bewegen, so schnell zu sein wie seine Gedanken. »Was ist das denn?«, fragte er. Über dem Lenkrad hingen an gedrehten rotgoldenen Fäden verschiedene bemalte Schmuckanhänger. Die grellbunten Dinger schaukelten, wenn die Rikscha unter einer Sturmbö erzitterte. Jasmeet hob den Blick von ihrem Knie. »Religiöser Schnickschnack«, sagte sie. Es interessierte sie nicht. »Alle Fahrer haben so etwas.« Ihr Knie tat offensichtlich weh.
    John beugte sich vor. Eine winzige rotgoldene Figur hatte Schlangen um den Hals. Auf ihrem Gesicht lag ein dümmliches Lächeln. Er griff nach der nächsten. Ein Miniatur-Ganesh, der auf einer Ratte ritt. Er war aus lackiertem Holz, die Farben grell. »Ein Wunder, dass der Fahrer durch dieses ganze Zeug hindurch genug sehen kann, wenn er fährt«, bemerkte John. »Alle haben solche Anhänger«, sagte Jasmeet noch einmal. »Als Glücksbringer.« John betrachtete eine weibliche Figur, die auf einer … was war es … einer Eule saß? Wie kamen sie auf solche Kombinationen? Und dann eine Frau mit zu vielen Armen auf dem Rücken eines Tigers! Wie sollte einem so etwas Glück bringen? Aber das war eine blöde Ablenkung. »Ich gehe den Fahrer suchen«, erklärte er ihr.
    Als er das sagte, wurde die Autorikscha von einer heftigen Bö geschüttelt, und das Mädchen umfasste mit beiden Armen seine Taille, um ihn am Gehen zu hindern. »Gehen Sie nicht weg.« Sie drückte ihren Kopf an seinen Körper. »Sie dürfen Ihrer Mum nichts von mir erzählen. Sie wird die schlimmsten Sachen denken. Mein Vater wird mich umbringen. Im Ernst. Er wird mich umbringen. Er kann so zornig werden. Sie wissen doch, Ihre Mum und mein Dad sind Freunde. Enge Freunde.«
    Als John keine Antwort gab, fing das Mädchen an zu betteln. »Bitte nehmen Sie mich mit nach London.« Und dann fast ärgerlich: »Sie werden niemals eine Bessere finden als mich, wissen Sie das, Mr. John? Wo wollen Sie eine wie Jasmeet finden?«
    John antwortete nicht. Er hob die Plane der Rikscha hoch und sah eine Welt, die so fragil war, dass sie im Handumdrehen weggeblasen werden konnte; sie würde sich in Luft auflösen wie ein Traum, der einen mit Beschlag belegt und im nächsten Moment schon wieder verschwunden ist. Ein Wind wie dieser dürfte wohl Millionen von Spinnweben wegpusten, dachte John. Das Mädchen hielt ihn sehr fest.
    »Ich muss gehen«, sagte er.
    »Ihr Vater und ich hatten nie richtig Sex«, flüsterte Jasmeet. »Ich hoffe, das dachten Sie nicht, Mr. John.«
    Er hätte sie erwürgen können. Nur weil er zu seiner Mutter gehen wollte, machte sie einen Rückzieher. Erst gab sie an,

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