Traeume von Fluessen und Meeren
wiederholte die Bewegungen, drehte sich im Kreis durch das Zimmer. Dann stieß sie mit einer Hand gegen den Schrank.
»Autsch!« Sie untersuchte ihre Finger. »Hanyaki findet, ich mache es zu offensichtlich. Ich sehe aus wie eine Schauspielerin, die eine Pantomime macht.«
»Ist er Japaner? Der Regisseur?«
»Habe ich das nicht erwähnt?«, fragte sie lachend. »John, entspann dich, du bist ja total aufgekratzt. Wenn wir ein, zwei Jahre zusammenbleiben, dann können wir vielleicht darüber reden, Ernst zu machen. Wer weiß?«
»Dann lass uns zusammenziehen.«
Sie lächelte ihn ungläubig an, setzte sich auf den Schreibtischstuhl und drehte sich hin und her.
»Hat er dich nach Hause gefahren?«, fragte John. »Ich dachte, du seist mit deinem eigenen Auto unterwegs.«
»Für ihn liegt es auf dem Weg.« Sie lächelte. »Und mein Geschenk?«
»Beim Auspacken habe ich festgestellt, dass es zerbrochen ist.«
»Und da hast du es gar nicht erst mitgebracht? Ach John! Alles nur leere Versprechungen!«
Elaine reckte das Kinn, stieß sich mit dem Stuhl in gespielter Enttäuschung von ihm weg. John sprang auf und packte sie. Seine Hände umfassten ihre Brüste. Er drückte sein Gesicht in ihr Haar. Der Stuhl drehte sich, als er versuchte, sie hochzuziehen. Sie wehrte sich.
»He!«
Seine Hände packten fester zu. Ihr Geruch hatte etwas Animalisches in ihm geweckt. »Komm schon, Ellie.« Er wollte sie zwingen.
»John! Scheiße!«
»Na komm!«
Er brachte sie zum Stehen und zog an ihrem T-Shirt. Es riss.
»Hör auf!« Ihr Ellbogen traf ihn im Nacken. »Lass das!«
»Ellie?«, rief eine Mädchenstimme. Auf dem Treppenabsatz waren Schritte zu hören.
10
Es war die Lektüre von Wau , die Paul Roberts letztendlich dazu bewegt hatte, sich scheiden zu lassen. »Ihr Buch war ein Katalysator für Veränderung und Befreiung in meinem Leben«, hatte er in seinem ersten Brief an Albert James geschrieben. »Ich würde Ihre therapeutische Vision gerne einem größeren Publikum zugänglich machen.«
»Befreiung wovon und zu was?«, hatte James geantwortet.
In der luxuriösen Umgebung des Ashoka holte Paul Roberts seine Notizen auf den Bildschirm seines Laptop.
Albert (nach Einstein) William (nach Blake) James.
Geboren als Sohn einer der führenden Wissenschaftlerfamilien Englands.
Atheistisch erzogen. Oder vielmehr: Wissenschaft als Religion. Vater in der Genetik tätig. Aggressiver Polemiker. Dazu hoch kultiviert. Theater- und Opernbesuche. Besaß Originalgemälde berühmter Künstler (Munch, Braque). Im Nachwort zu Wau zitiert James den Vater mit der Aussage, die Kunst sei eine höhere Form des Erfolgs, die den Wissenschaftlern der Familie James nicht zugänglich sei.
Ältere Schwester Amelia bei Feier des Doppeldiploms in Botanik und Chemie von betrunkenem Autofahrer überfahren.
James vierzehn.
Älterer Bruder John verweigert naturwissenschaftliches Studium, trinkt, spielt, hurt herum. Verliebt sich in irischeSchönheit Bridget MacDowell, die drei Monate mit ihm zusammenlebt, ehe sie wegläuft, anscheinend mit älterem Mann.
Heftige Streitereien mit Vater um Geld. Schreibt Gedichte, Romane, Theaterstücke. Ohne Erfolg. Vater dreht Geldhahn zu. John schneidet sich auf Toilette des National Theatre die Pulsadern auf.
James siebzehn.
Elterliche Erwartungen alle auf drittem Kind, das bis dahin für langweilig gehalten wurde. Diplom in Biologie. Feldstudien, Amöben. Erklärt Tutor, er sei unzufrieden mit dem unpersönlichen Charakter der regulären Wissenschaft. Lernt Helen Sommers kennen, eine hoch politisierte junge Ärztin. Heirat und medizinische Hilfsmission in der Dritten Welt.
James siebenundzwanzig.
Kenia. Laos. Borneo. Metamorphose. James wendet sich von Biologie und medizinischer Philanthropie ab und der Anthropologie zu. Schreibt Wau . Geburt von John James.
Paul runzelte die Stirn. Er hatte Wau rein zufällig gelesen. Wer hätte schon freiwillig ein Buch gelesen, in dem es 500 Seiten lang um eine seltsame Zeremonie geht, die in einem abgelegenen Stamm von Kopfjägern zwischen Neffen und ihren Onkeln mütterlicherseits abgehalten wurde? Paul war damals sehr an Gandhi interessiert gewesen und hatte eine Reihe von Artikeln für den Globe geschrieben, in denen er die Möglichkeiten für gewaltlosen Widerstand in der zeitgenössischen amerikanischen Gesellschaft untersuchte. Parallel dazu kämpfte er mit seiner zweiten Frau. Und versuchte, sich einer Geliebten zu entledigen. Es gab da eine hübsche
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