Traeume wie Samt
ich in meinem Haus in Schwierigkeiten war?«
»Es hat nicht viel genützt.« Harry schloß die Augen und stellte sich der unangenehmen Wahrheit. »Ich kam zu spät, um etwas auszurichten. Wenn du nicht die Eingebung gehabt hättest, dich in der Werkstatt deines Vaters zu verstecken und diese alten Spielsachen zu verwenden, um den Angreifer abzuwehren, wärst du jetzt …« Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen.
»Ja, es war eine nützliche Eingebung, nicht wahr?« Molly nahm noch einen Schluck Wein. Ein entrückter Ausdruck ließ ihre Augen leuchten.
»Was zum Teufel hat dich auf die Idee gebracht, diese automatischen Spielfiguren zu deiner Verteidigung zu benutzen?« fragte Harry. »Oder war einfach nichts anderes da, mit dem du dich hättest wehren können?«
»Was würdest du sagen, wenn ich behaupte, zwei Kinder hätten mich auf die Idee mit dem Spielzeug gebracht?«
Harrys Gesicht verdüsterte sich flüchtig. »Welche Kinder? Willst du behaupten, es wären Kinder darin verwickelt gewesen? Davon hast du der Polizei nichts gesagt.«
»Es gab keinen Grund dafür«, erklärte Molly seltsam versonnen. »Die Kinder sind noch nicht geboren.«
Harry starrte Molly an. Sie hatte heute eine Menge durchgemacht, erinnerte er sich. Wahrscheinlich litt sie an einer Art verzögerter Schockwirkung. »Molly, du solltest jetzt lieber ins Bett gehen. Du brauchst Ruhe.«
Sie lächelte. »Harry, hast du jemals daran gedacht, Kinder zu haben?«
Er blieb vor den Fenstern stehen. Seine Vorstellung projizierte ein klares, unmißverständliches Bild vor sein Auge, das Molly hochschwanger zeigte. Eine merkwürdige Sehnsucht stieg in ihm auf. Er atmete tief ein. »Ich glaube, der Wein steigt dir zu Kopf. Es ist wahrscheinlich der Streß. Komm, ich helfe dir beim. Ausziehen. Du brauchst eine erholsame Nacht.«
»Hm.«
15
»Zu spät.«
Die heiseren, verzweifelten Worte waren kaum hörbar, aber sie weckten Molly aus einem Traum mit riesigen, raubtierhaften mechanischen Spielzeugfiguren. Das Adrenalin schoß durch ihren Körper. Sie öffnete die Augen und sah Harry an, der neben ihr schlief. Ein breiter Streifen Mondlicht fiel durch die Fensterfront herein. Das kalte Licht badete ihn in Silber. Auf Harrys bloßen Schultern glänzte Schweiß.
»Zu spät«, murmelte er in das Kopfkissen, wobei er sich unruhig umherwälzte. »Kann nicht atmen. Keine Luft.«
»Harry, wach auf.«
»Kann nicht atmen. Zu spät.«
Molly berührte ihn sanft. Es war, als hätte sie eine Stromverbindung hergestellt. Mit erschreckender Schnelligkeit kam Harry zu sich. Er rollte zur Bettkante, und im selben Moment war er schon aufgestanden. Er fuhr herum und sah auf Molly herunter.
Im kalten Mondlicht konnte sie die bernsteingoldene Farbe seiner Augen nicht erkennen, aber der gequälte Ausdruck in seinem Gesicht war deutlich zu sehen. Molly richtete sich langsam in den Kissen auf und zog das Laken zum Kinn. »Du hast geträumt«, flüsterte sie.
»Ja.« Harry blinzelte ein paarmal, als wollte er die Geister vertreiben. Ein Schauer durchlief ihn. Nach einem tiefen Atemzug schien er sich wieder zu fangen. »Tut mir leid.«
»Ein Alptraum?«
Mit der Hand fuhr Harry sich durch sein Haar. »Einen Traum dieser Art hatte ich seit langem nicht mehr. Es ist Jahre her. Ich hatte beinahe vergessen, wie schlimm sie sind.«
Molly schob die Decke beiseite und stand auf. Barfuß kam sie rasch um das Bett herum, legte die Arme um Harry und lehnte sich an ihn. Es war der einzige Trost, den sie ihm geben konnte. »Es ist alles in Ordnung, Harry. Der Traum ist vorbei.«
Für einen langen Augenblick blieb Harry in ihrer Umarmung starr, bis er Molly mit einem heiseren, wortlosen Stöhnen umschlang und festhielt, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt. Mehrere Minuten lang standen sie schweigend im Mondlicht.
»Es war meinetwegen, nicht wahr?« wagte Molly schließlich zu vermuten. »Der Vorfall heute nachmittag hat deinen Traum ausgelöst. Du fühlst dich schuldig, weil du erst bei mir warst, nachdem Kendall schon fort war.«
»Ich bin zu spät gekommen.« Harrys Stimme klang hart. »Du hättest tot sein können.«
»So wie deine Eltern?«
Harry versteifte sich. »Ja.«
»Was mir heute zugestoßen ist, hat alte Erinnerungen geweckt, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich.«
»Und alte Alpträume.«
»Vermutlich.« Harry wirkte, als quälte er sich bis in die Tiefen seiner Seele.
»Du kannst nicht jeden Menschen retten, Harry. Nicht einmal alle, die du liebst.
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