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Traeume wie Samt

Traeume wie Samt

Titel: Traeume wie Samt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jayne Ann Krentz
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Glück.«
    »Ja.«
    »Nun, wir wissen also, daß es kein Unfall war. Jetzt wäre es interessant herauszufinden, weshalb Kendall von der Straße abkam.«
    »Wir wissen nicht mit Sicherheit, daß es kein Unfall war. Das vermuten wir nur.«
    »Deine Vermutungen ähneln intuitiven Eingebungen, Harry. Darüber sind wir uns beide im klaren.«
    Harry hörte ein Klicken und begriff, daß er die Zähne unwillkürlich aufeinandergeschlagen hatte. Mollys Überzeugung, daß Kendall ermordet worden war, ärgerte ihn. Er wußte, daß sie auf seine Einschätzung der Situation anspielte und seinen Instinkten vertraute. Ihr inzwischen beinahe unerschütterliches Vertrauen in seine Einsichten beunruhigte ihn, denn das machte sie noch unheimlicher. Es erhöhte die Wahrscheinlichkeit, daß tatsächlich etwas Abnormes im Spiel war.
    Harry verließ den Wagen und legte vorsichtig eine Hand auf den vorderen Kotflügel. Das Gefühl, daß etwas nicht stimmte, traf ihn erneut, und dieses Mal viel nachdrücklicher. Er bückte sich, um das zerbeulte Blech genauer zu betrachten. Wegen der Wucht des Aufpralls war der blaue Lack zerkratzt und abgesplittert, so daß an einigen Stellen das nackte Metall hervortrat. Harry fuhr über die großen Dellen, die überall zurückgeblieben waren. Als seine Fingerspitzen eine tiefe Kerbe in der Nähe der leeren Höhlung berührten, in der einmal der Scheinwerfer gesessen hatte, hielt er inne.
    Molly eilte zu ihm. »Was hast du gefunden?«
    »Blaue Farbe.«
    »Was ist so besonders an blauer Farbe? Der ganze Ford ist blau.«
    »Das weiß ich.« Harry betastete einen kleinen Farbbereich. Etwas störte ihn daran. Er holte tief Atem und suchte sein inneres Zentrum, so gut er konnte. Langsam und vorsichtig erlaubte er es sich, die blauen Lacksplitter genau zu betrachten. Um nicht die Kontrolle zu verlieren, versuchte er nur einen Teil seiner Konzentration auf die Aufgabe zu richten. Laß die Information einsinken, ermahnte er sich. Nur ein bißchen, nach und nach. Denk darüber nach. Achte auf Widersprüche. Er machte einen tastenden Schritt auf die Glasbrücke. Der Wind vom Ozean wurde plötzlich schärfer und zerrte heftig an seiner Kleidung, drohte ihn in den Abgrund zu reißen. Harry kämpfte um sein Gleichgewicht. Wenn er die Kontrolle verlor, würde er in den tiefsten, kältesten Graben am Grund der dunkelsten See fallen.
    »Harry?« Mollys Stimme klang leise, sanft und fragend. Mitfühlend.
    Unter seinen Füßen bebte das Glas. Harry hob den faszinierten Blick von der endlosen Dunkelheit unter sich und sah zur anderen Seite der Schlucht. Dort wartete Molly. Sie hob ihm die Arme entgegen. Harry gewann die Balance zurück und ging auf sie zu. Mit jedem Schritt wurde er sicherer. Er war jetzt weit geöffnet und wach für die Wahrnehmung. Die Welt um ihn erschien tausendmal lebendiger als noch wenige Augenblicke zuvor. Der Himmel über ihm war nicht mehr gleichförmig grau, sondern leuchtete in allen Schattierungen zwischen hell und dunkel. Mollys Lächeln strahlte heller als die Sonne, und ihre Augen glänzten wie grüne Juwelen. Die Farbe unter seinen Fingern schrie ihn an. Harry sog den Atem ein.
    »Keine Sorge, Harry. Ich bin da.«
    Harry eilte die letzten Schritte über die Glasbrücke und griff verzweifelt nach Molly. Warm, tröstend und lebendig kam sie in seine Arme. Er war nicht allein hier draußen in der Dunkelheit. Er schloß die Augen und hielt Molly mit aller Kraft, die in ihm war, umschlungen. Die Welt stabilisierte sich schnell und kehrte zu ihrem natürlichen Aussehen zurück. Der Seewind ließ nach. Die Brücke und der Abgrund waren verschwunden.
    Harry öffnete die Augen. Molly sah aus seiner Umarmung zu ihm auf.
    »Alles in Ordnung mit dir?« fragte sie sanft.
    »Ja.« Harry bemerkte ihren besorgten Ausdruck, während er nach Atem rang. »Mir geht es gut.«
    »Du siehst furchtbar aus.«
    »Alles in Ordnung.«
    »Vor einer Minute branntest du innerlich.« Sie legte eine Hand auf seine Stirn. »Jetzt fühlst du dich etwas kühler an. Ich frage mich, ob auch Männer Hitzewallungen haben.«
    Harry stöhnte erstickt. Er schwankte zwischen seiner alten Angst und erleichtertem Gelächter. Die gemischten Gefühle warnten ihn, daß er noch nicht wieder die volle Kontrolle zurückgewonnen hatte.
    Molly musterte ihn. »Was hast du am Kotflügel gefunden?«
    »Das sagte ich doch schon. Blaue Farbe.« Harry hockte sich neben das Vorderrad. »Aber nicht von diesem Wagen.«
    »Was?« Mollys Mund blieb offen.

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