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Traeume wie Samt

Traeume wie Samt

Titel: Traeume wie Samt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jayne Ann Krentz
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»Wenn Sie in einer Familie wie meiner aufwachsen, lernen Sie, mit Überraschungen gelassen umzugehen. Kommen Sie mit ins Haus, ich stelle die Rosen ins Wasser.«
    Harry zögerte. Dann bückte er sich, um die Einzelteile der zerbrochenen Konstruktion einzusammeln. Bevor er die Waffe berührte, atmete er tief ein. Ein Gefühl der Erleichterung durchlief ihn, als er unter den Fingerspitzen Plastik und Metall spürte. Dies war real. Alles andere hatte sich ausschließlich in seiner Fantasie abgespielt. Er betrachtete die Flagge, die aus dem Lauf der Pistole hing, und runzelte die Stirn. »Sind Sie sicher, daß die Freunde Ihrer Schwester dafür verantwortlich sind?« fragte er erneut, während er wieder aufstand.
    »Wer sonst?« Molly sah lächelnd auf die Rosen in ihrem Arm. »Wahrscheinlich ein Abschiedsstreich. Kelsey verläßt die Stadt am Sonntag. Sie besucht an einer kalifornischen Universität einen einmonatigen Sommerworkshop für Studenten der Naturwissenschaft.«
    »Ich verstehe.«
    Mit dem zerbrochenen Schußapparat in der Hand folgte Harry Molly in die höhlenähnliche Eingangshalle. Sie führte ihn in die Küche. Eine merkwürdige Küche. Interessiert sah Harry sich um. Alle üblichen Einrichtungsgegenstände waren vorhanden, nur seltsam verändert, als stammte die Küche aus der Kommandozentrale der Enterprise. Die futuristisch gestalteten Arbeitsflächen, Bedienungshebel und Geräte bestanden ausschließlich aus Edelstahl und Plastik. In die Wand war eine blinkende Schalttafel eingelassen.
    Molly öffnete einen Schrank und entnahm ihm eine Vase. Harry legte den zerbrochenen Schußapparat auf einen Tisch mit glänzender Edelstahloberfläche in der Nähe des Fensters. »Wo ist Ihre Schwester heute abend?« fragte er, während er in den Überresten des Kastens stocherte.
    »Mit Freunden unterwegs.«
    »Wer von ihren Freunden wußte nicht, daß sie heute abend nicht zu Hause ist?«
    »Ich habe keine Ahnung.« Molly stellte den Wasserhahn ab und ordnete die Rosen in der Vase. »Wahrscheinlich einige. Warum fragen Sie?«
    Harry hob die Pistole hoch und drehte sie in der Hand. »Wer immer dieses Ding installiert hat, muß gedacht haben, daß sie heute abend zu Hause ist.«
    Molly runzelte die Stirn angesichts einer zerknickten Rose. »Sieht so aus.« Widerstrebend entfernte sie die Blüte und ließ sie in einen seltsam aussehenden Stahlbehälter fallen. Es folgte ein leises Sauggeräusch, dann verschwand die beschädigte Blume.
    Harry streifte das Jackett ab und hängte es über die Stuhllehne. Er setzte sich an den Tisch und zog den zerschmetterten Kasten zu sich. Nachdenklich hob er den Kopf zu dem seltsamen Apparat an der Decke. »Wie schaltet man das Licht ein?«
    »Mit dem roten Knopf in der Tischmitte.«
    Er studierte das kleine Schaltbrett, das in den Stahltisch eingelassen war, und berührte dann prüfend den roten Knopf. Ein gleichmäßiges, blendfreies Licht traf auf die Tischoberfläche. »Sehr praktisch.«
    »Danke.« Molly trat einen Schritt zurück, um ihr Arrangement zu betrachten. »Jetzt sind die Blumen versorgt. Sie sehen wirklich wunderbar aus, Harry. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir jemand zum letztenmal Rosen mitgebracht hat. Vielen Dank.«
    Harry nahm sich vor, sich bei Josh für die Erinnerung an die altmodische Geste zu bedanken. »Es freut mich, daß sie Ihnen gefallen.«
    »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich hole nur schnell meine Tasche.«
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Harry beugte sich vor, um den Sprungfedermechnismus zu studieren, der die aufmontierte Pistole hochkatapultiert hatte.
    Er hörte, wie Molly die Küche verließ. Die hohen Absätze ihrer Schuhe hallten auf dem Boden der Eingangshalle nach. Sie würde einige Minuten brauchen. Er öffnete die Manschetten, rollte die Ärmel hoch und begann die Pistolenkonstruktion auf der Bauplatte auseinanderzunehmen.
    Kurz darauf kehrte Molly zurück. »Harry? Ich bin fertig–«
    Harry sah nicht auf. Er hatte die Feder aus dem Kasten herausmontiert. Die Einzelteile der Konstruktion lagen vor ihm ausgebreitet. »Lassen Sie mir noch ein paar Minuten.«
    »In Ordnung«, antwortete Molly.
    Die Pizza mit Artischocken und sonnengereiften Tomaten, die Molly aus dem patentierten Abberwick-Lebensmittellager- und Zubereitungsautomat gewählt hatte, erschien vierzig Minuten später im Entnahmeschacht. Als Tischwein entschied sie sich für einen kräftigen Washington State Cabernet aus dem vollautomatisierten Abberwick-Weinkeller.

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