Traeume wie Samt
der Schuß.
Als Harry den tödlich aussehenden Mechanismus berührt hatte, hatte ihn in einer Welle der Gewißheit das unheimliche Gefühl drohender Gefahr durchflutet. Er hatte keine Zeit gehabt, darauf zu achten. Und beim nächsten Herzschlag war es wieder verflogen. Durch die Wucht seines Sprungs prallte er in diesem Moment gegen die Hauswand. Geschickt gewann er sein Gleichgewicht zurück und sah dem Kasten nach, der die Treppe zur Auffahrt hinunterklapperte.
Etwas Weiches entfaltete sich aus dem Pistolenlauf. Es flatterte matt, bevor es sich auf den Boden senkte.
»Was ist hier los?« Molly sah auf den schwarzen Kasten und seinen Inhalt. Dann hob sie verblüfft die Augen und begegnete Harrys Blick. »Sie sind wirklich schnell.«
»Wenn mir danach ist.« Achselzuckend glättete sich Harry das Jackett und ging die Treppe herunter, um sich die Pistolenkonstruktion aus der Nähe anzusehen. Aus dem Lauf hatte sich eine weiße Fahne entrollt. Darauf stand etwas in roten Buchstaben. Harry breitete das Stoffstück mit der Schuhspitze aus, um die Worte zu entziffern.
BUMM, UND DU BIST TOT.
»Jemand hält diesen üblen Scherz offenbar für Humor.« Harry holte langsam und tief Atem. Er sah Molly an. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
»Natürlich. Und mit Ihnen?«
»Alles okay.«
»Das sehe ich.« Sie lächelte. »Sie besitzen eine originelle Methode, um die Befangenheit bei der ersten Verabredung zu überwinden.«
»Josh hat behauptet, ich sei zu lange nicht mehr ausgegangen, um mich an das Prozedere zu erinnern.« Harry sah auf die Pistole hinunter. »Aber das hier stammt nicht von mir. Ich habe Ihnen Blumen mitgebracht.«
»Wirklich?« Molly betrachtete die auf dem Boden liegenden Rosen und lächelte erfreut. »Oh, sie sind wunderbar. Woher wußten Sie, daß gelbe Rosen meine Lieblingsblumen sind?«
Harry folgte ihrem Blick zu den auf der Zufahrt verstreuten Rosen. »Ich hatte Glück beim Raten.« Er sah Molly zu, während sie die Blumen einsammelte. Josh hatte ihn in letzter Minute auf den Gedanken mit den Blumen gebracht, aber Harry sah keinen Grund, Molly das zu gestehen. Außerdem hätte er die Idee auch selbst gehabt, wäre Josh ihm nicht zuvorgekommen, sagte er sich. Er mochte aus der Übung sein, aber dumm war er nicht.
Molly sah wunderbar aus, stellte er beeindruckt fest. Sie trug ein knappes scharlachrotes Kleid mit Goldknöpfen und einer passenden kurzen Jacke im flotten Marinestil. Ihr widerspenstiges Haar war gegen seine Natur mit kleinen Goldklemmen hinter den Ohren gebändigt. Schwarze Sandaletten mit feinen Riemchen betonten ihre graziös geformten Füße. Harry fiel ein, daß er Molly bisher nur in ihrer Geschäftskleidung gesehen hatte. Dies war eine anregende Abwechslung.
Molly war noch immer damit beschäftigt, die Rosen aufzuheben. »Ich schätze, die meisten haben den Sturz überlebt.«
»Vergessen Sie die Blumen. Sie sind kaputt.«
»Nein, bestimmt nicht. Eine oder zwei sind etwas zerdrückt, aber das ist alles.«
Harry beschloß, nicht mit ihr zu streiten. Die abgerissenen Blütenblätter sprachen für sich selbst. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schwarzen Kasten mit der bedrohlich aussehenden Pistole zu. »Haben Sie eine Ahnung, wer Ihnen diesen Streich gespielt haben könnte?« fragte er.
»Nein.« Molly warf einen gleichgültigen Blick auf die Konstruktion und stieg die Stufen wieder hoch. »Könnte die Bastelei von Freunden meiner Schwester sein. Alles sehr kreative Köpfe. Einige der Jungen sind noch etwas unreif, obwohl sie im Herbst mit der Uni beginnen.«
Harry fiel das kurze, aber überdeutliche Gefühl von Gefahr ein, das ihn gewarnt hatte, als er den Kasten zur Seite geschleudert hatte. Rasch unterdrückte er die Erinnerung. Eine solche Reaktion war nichts Ungewöhnliches, sagte er sich. Als Erklärung genügte ihm der Anblick der Pistole, die auf Molly gerichtet gewesen war. »Ihre Schwester hat Freunde, die solche Scherze machen?«
»Kelsey hat das Erfindergenie unserer Familie geerbt.« Molly lächelte schwach. »Sie verbringt viel Zeit mit einem Haufen intelligenter junger Leute. Meistens sind sie recht nett, aber einige von ihnen besitzen einen etwas merkwürdigen Humor. Sie verbringen ganze Wochenenden damit, sich gegenseitig die absurdesten Streiche zu spielen.«
Harry bewegte seine Finger, um die Muskeln von der Anspannung zu befreien. »Das klingt, als hätten Sie so etwas Ähnliches schon einmal erlebt.«
Molly kräuselte die Nase.
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