Traeume wie Samt
nicht zu unterhalten. Und sie quälte ihn nicht mit Fragen über seinen Stimmungszustand.
Wenige Minuten später riß das Summen der Sprechanlage Harry aus der Konzentration. Er sah auf die Armbanduhr. Es war beinahe zehn Uhr abends. »Wir haben Besuch«, sagte er.
»Wer um alles in der Welt kann das um diese Zeit sein?«
»Meine Familie.«
»Ah, ja. Natürlich.«
Harry stand auf und schritt durch den Raum zur Sprechanlage. Er drückte den Knopf. »Hier ist Trevelyan.«
»Sie haben Besuch, Dr. Trevelyan«, sagte Chris, der Portier. »Mrs. Danielle Hughes möchte Sie sprechen.«
Resigniert schloß Harry für einen Moment die Augen. »Schicken Sie sie herauf, Chris.«
»Wird gemacht, Dr. Trevelyan.«
Harry ließ den Knopf der Sprechanlage los. »Meine Tante Danielle. Brandons Mutter.«
»Aha.«
Harry entdeckte Mitgefühl in der edelsteinklaren Tiefe von Mollys Augen. Es war eine seltsame Erfahrung. Auf eine unerklärliche Weise schien sie zu wissen, was er in diesem Augenblick empfand. Dabei wußte er nicht einmal, ob er selbst begriff, was in ihm vorging. Wie immer, wenn er mit seiner Familie zu tun hatte.
Molly wollte den Deckel ihres Laptops zuklappen. »Du möchtest wahrscheinlich mit deiner Tante allein sprechen. Ich gehe solange ins Wohnzimmer.«
»Nein, bleib wo du bist. Es gibt keinen Grund, warum Tante Danielle dich in deiner Arbeit stören sollte. Oder mich. Ich stelle euch hier vor, und dann spreche ich im Wohnzimmer mit ihr.«
»Wie du willst. Liege ich richtig, wenn ich vermute, daß es ein unangenehmes Gespräch werden wird?«
»Nun, ich glaube zu wissen, was Danielle will.« Harry wandte sich zur Tür. »Je schneller ich es ihr gebe, desto eher kann ich an meine Arbeit zurückkehren. Das sagt mir meine Erfahrung.«
»Viel Glück.«
Die Türklingel schrillte. Harry ging davon, um der befehlenden Aufforderung zu folgen.
Danielle wartete im Flur des Apartmenthauses. Die Züge in ihrem schönen Patriziergesicht waren zu einem stahlharten, entschlossenen Ausdruck gespannt, und die Angst in ihren Augen schien echt zu sein. Harry kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie in diesem Zustand nicht leicht zu besänftigen wäre. Obwohl seine Mutter und Danielle Schwestern gewesen waren, gab es wenig mehr als eine oberflächliche Ähnlichkeit zwischen ihnen, soweit Harry dies beurteilen konnte. In ihrer Jugend waren beide Frauen Schönheiten gewesen, und ihr feinknochiger Körperbau ließ sie auch im Alter noch attraktiv erscheinen. Aber seine Mutter hatte Harry als glückliche, energiegeladene Frau in Erinnerung, deren Augen in überschwenglicher Lebensfreude gefunkelt hatten und die einen leichten, herzlichen Charakter besessen hatte. Er erinnerte sich nicht, Danielle jemals wirklich gelöst erlebt zu haben. Sie konnte auf kühle Weise angenehm und unterhaltsam sein, wenn die Situation es erforderte, aber damit schien sie die Grenze ihrer Möglichkeiten erreicht zu haben. Die Schatten ihrer unglücklichen Ehe mit Dean Hughes umfingen sie noch immer, obwohl Dean den Anstand besessen hatte, vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben zu kommen.
»Harry, ich muß mit dir über Brandon sprechen.« Entschlossen betrat Danielle die Wohnung. Einen Augenblick später machte sie abrupt halt und sah mit abschätzendem Blick auf Molly, die in der Tür zum Arbeitszimmer stand. »Wer ist das?«
»Hallo«, sagte Molly höflich.
»Ich wußte nicht, daß du Besuch hast, Harry.« Danielle blickte zu Harry, als erwartete sie, daß er Molly wie eine Hausangestellte wegschickte.
»Das ist Molly Abberwick. Molly, meine Tante Danielle Hughes.«
»Danielle Stratton Hughes«, korrigierte Danielle kühl.
»Nett, Sie kennenzulernen«, murmelte Molly.
»Sie müssen Harrys neue kleine Freundin sein«, sagte Danielle. »Olivia erwähnte, daß sie Sie bei ihm gesehen hat.«
»Harrys kleine Freundin?« Molly schob die Lippen vor. Ihre Augen sprühten amüsiert. »Ich hätte nicht erwartet, von jemandem kleine Freundin genannt zu werden. Was für eine Beschreibung.«
Um zu erkennen, daß die Lage gefährlich wurde, war kein Zweites Gesicht der Trevelyans notwendig. »Miss Abberwick ist eine Mandantin, Danielle.«
Molly wirkte noch amüsierter. »Eine kleine Freundin und Mandantin.«
Mit einer übertriebenen Geste sah Danielle auf ihre diamantenbesetzte Armbanduhr hinunter. »Es ist schon ziemlich spät für eine Geschäftsbesprechung, oder?«
»Das hängt von den Geschäften ab«, sagte Molly.
Danielle
Weitere Kostenlose Bücher