Traeume wie Samt
»Ich weiß nicht. Harry, mir gefällt das nicht.«
»Es ist etwas spät für Bedenken. Du hast darauf bestanden mitzukommen.«
»Das ist mir bewußt. Normalerweise gefallen mir Kleinstädte. Aber hier gibt es etwas …« Sie brach ab, unfähig, ihre Vorahnung in Worte zu fassen.
»Was ist los?«
Molly warf Harry einen schnellen Seitenblick zu. »Was würdest du sagen, wenn ich behaupte, daß ich ein ungutes Gefühl bei dieser Stadt habe?«
»Ich würde antworten, daß das unter den gegebenen Umständen eine völlig normale Empfindung ist. Wir sind schließlich hier, um einen Mann aufzuspüren, der versucht hat, dich zu Tode zu erschrecken. Warum solltest du von der Aussicht begeistert sein, ihm persönlich zu begegnen?« Harry öffnete die Tür und stieg aus.
Molly folgte ihm schnell. Harry hatte recht. In dieser Situation war ihre Unruhe völlig verständlich. Sie lächelte den Männern, die sie beobachteten, vorsichtig zu. Keiner von ihnen erwiderte das Lächeln.
Harry sah auf die kleine Gruppe vor dem Laden und neigte leicht den Kopf. Zu Mollys Überraschung antworteten zwei oder drei Männer mit einer steifen Geste. Die anderen scharrten mit ihren Stiefeln am Boden und fanden ein anderes Ziel für ihre Aufmerksamkeit. Harry nahm Mollys Hand und betrat mit ihr den Krämerladen.
Molly betrachtete die verstaubten Regale, auf denen Lebensmitteldosen neben Paketen mit Toilettenpapier und anderen Haushaltsartikeln standen. In den Fenstern hingen Neonreklamen für verschiedene Biersorten. Ein Getränkeautomat summte in der Ecke vor sich hin. Harry ließ Mollys Hand los, nahm einige Münzen aus seiner Tasche und ging durch den Raum zu dem Automaten. Er warf die Münzen in den Schlitz und drückte die Bedienungsknöpfe. Das Gerät begann zu arbeiten, und zwei Dosen rumpelten durch den Schacht in das Ausgabefach.
Im Durchgang hinter dem Tresen erschien eine massige Gestalt. Mollys Blick fiel auf einen bloßen, behaarten Streifen des dicken Bauches, der sich über den Bund einer alten, zerrissenen Jeans wölbte. Schnell wandte sie die Augen wieder ab.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Für den großen, schweren Mann klang die Stimme unerwartet hoch und näselnd. Und es lag eindeutig wenig Gastfreundlichkeit darin.
Harry nahm die Getränkedosen, die in den Ausgabeschacht gerollt waren. »Sind Sie Pete?«
»Ja.«
»Ich bin Harry. Das ist Molly.«
Pete sah Molly mit zusammengekniffenen Augen an. Sie lächelte freundlich. Widerwillig nickte er ihr zu und ließ seinen Kaugummi im Mund knacken. Dann wandte er sich wieder an Harry. »Und was wollen Sie, Harry?«
»Wir suchen einen Mann, der Wharton Kendall heißt. Er soll in Icy Crest leben.«
Pete kaute und blinzelte angestrengt, während er nachdachte. »Das tat er.« Ein herausfordernder Unterton lag in der Antwort, als wollte Pete Harry weitere Fragen entlocken. Molly war sich der gespannten Atmosphäre körperlich bewußt. Wahrscheinlich handelte es sich nur um die natürliche Zurückhaltung eines Kleinstädters, der einem Fremden nur widerwillig Auskunft gab, aber das Gefühl war unangenehm. Harry schien die Spannung nicht zu bemerken. Er riß den Ring aus seiner Dose und nahm einen langen Schluck. Dann sah er den großen Mann hinter dem Tresen an.
»Wie lange ist Kendall schon weg?«
»Nicht lange. Einige Tage.«
»Hat er in der Nähe gewohnt?«
Petes breites Gesicht verschloß sich. Es war offensichtlich, daß er auf weitere Fragen nicht antworten würde. Harry sah ihn lange an. Die Stille wurde immer lastender. Molly spürte den Impuls, aus dem Laden zu flüchten. Sie hielt nur stand, weil sie Harry nicht allein lassen wollte. Der Druck des anhaltenden Schweigens brach Petes Entschlossenheit, nichts mehr zum Thema Wharton Kendall zu sagen, schließlich.
»Hat sich für eine Zeitlang eine Hütte von Shorty gemietet.« Wieder biß er auf seinem Kaugummi herum.
Harry nahm noch einen Schluck aus seiner Getränkedose und betrachtete den großen Mann mit kaltem, unbewegtem Blick. »Haben Sie eine Ahnung, wo er jetzt ist?«
Pete bewegte sich unruhig unter Harrys Blick. Sein offensichtliches Unbehagen erinnerte Molly an die Reaktion der Männer draußen vor dem Geschäft. »Shorty sagte mir, der verrückte Spinner wollte nach Kalifornien. Kein Verlust, dieser Kerl. War richtig unheimlich, wissen Sie? Ein Freund von Ihnen?«
»Nein.« Harry erklärte nichts weiter. »Wer ist Shorty?«
»Führt das Restaurant nebenan.«
»Danke.«
»Schon gut. Keine
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