Traeume, zart wie Seide
Liebe zu verwechseln, dann war sie ganz und gar die falsche Frau für ihn.
Trotzdem war es ihm schwergefallen, sie zu verlassen. Sie hatte so beschämt ausgehen, als er ging – dabei gab es dafür gar keinen Grund. Sie war wunderschön, begehrenswert, absolut anbetungswürdig – und er floh vor ihr, weil es einfach nicht richtig war, mit ihr zu schlafen. Sie verdiente mehr Respekt.
Doch all das hatte er ihr nicht sagen können, denn wenn er noch einen Moment länger geblieben wäre, hätte er sich am Ende doch nicht von ihr losreißen können.
Wenigstens würden sie am nächsten Vormittag zusammen nach Saranac Lake zurückfahren. Auf der Fahrt würde er ihr all das erklären, wofür er heute Nacht keine Worte gefunden hatte.
Als er sein Hemd auszog, roch er einen Hauch ihres Parfums, und das reichte schon, um all die Bilder zurückzubringen, die ihn nun schon seit Monaten den Schlaf raubten. Würde das denn immer so weitergehen?
Er legte sich ins Bett, schaltete das Licht aus und starrte in die Dunkelheit. Fünf Stunden später beobachtete er den Sonnenaufgang und wünschte sich, Joy wäre bei ihm.
Den ganzen Morgen verfolgen ihn Bilder von ihr, und als er schließlich zu Cassandras Wohnung fuhr, kam er sich vor, als hätte er sie beide um etwas Wunderbares betrogen. Natürlich war es besser, dass er die Sache beendet hatte. Richtig. Verantwortungsvoll. Und dennoch …
In der Lobby begegnete er Cassandra, die gerade aus dem Fahrstuhl kam. Sie schien überrascht, ihn zu sehen.
„Hat sie etwas vergessen?“
„Wie bitte?“
„Hat Joy etwas in der Wohnung liegen lassen?“
Stirnrunzelnd sah er Cassandra an. „Ich bin hier, um sie abzuholen.“
„Sie ist schon weg. Sie wollte mit dem Zug zurückfahren, gleich heute früh. Hat sie dir nichts gesagt?“
Panik stieg in ihm auf. „Nein.“
„Das ist ja seltsam.“
Gray versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn er schnell genug fuhr, konnte er in vier Stunden in Saranac Lake sein.
„Ging es ihr gut?“, fragte er.
„Na ja, sie sah ein bisschen müde aus. Sie meinte, sie könne es gar nicht abwarten, nach Hause zu kommen, aber ansonsten wirkte sie glücklich und zufrieden.“
Glücklich und zufrieden. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Sie fuhr zurück zu Tom. Zu Tom, ihrem Freund.
„Gray, geht’s dir denn gut?“
Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, alles bestens.“
„Ja, klar. Du siehst schrecklich aus. Was ist denn passiert?“
„Wir sehen uns später, Cass.“
Gray ging zu seinem Wagen zurück und schlug den Weg nach Norden ein, doch nach einer Weile kehrte er wieder um. Vielleicht sollte er sie besser nicht wiedersehen.
Auch wenn er das, was zwischen ihnen geschehen war, nie vergessen würde – sie gehörte nun mal einem anderen. Und mittlerweile war sie selbst bestimmt erleichtert, dass die Dinge nicht völlig außer Kontrolle geraten waren.
Gerade noch mal davongekommen!, dachte er. Und das galt für sie beide.
Denn mittlerweile wusste er ziemlich sicher, dass Joy keine Frau war, mit der er einmal schlief, um sie dann zu vergessen.
6. KAPITEL
Drei Wochen später eilte Gray mit großen Schritten durch die Lobby des Waldorf Astoria. Er war auf dem Weg zu einer Wahlparty, die leider ausgerechnet bei Allison und Roger Adams stattfand. Erst am Vormittag hatte Gray bestätigt gefunden, dass Roger seine Frau tatsächlich mit der Reporterin Anna Shaw betrog.
Es war höchste Zeit, mit Roger allein zu reden. Vielleicht hatte der Mann eine logische Erklärung dafür, dass eine nur mit einem Regenmantel bekleidete Reporterin nachts um vier aus seinem Hotelzimmer kam. Wenn er Allison allerdings wirklich betrog und es ihr noch nicht gesagt hatte, brachte er Gray in einen unangenehmen Gewissenskonflikt. Natürlich musste Allison davon erfahren, aber am besten doch von ihrem Mann.
Gray schüttelte den Kopf. Von allen Ehepaaren, die er kannte, waren die Adams immer das glücklichste gewesen. Bis jetzt jedenfalls …
Auf dem Weg zur Tür spürte er, wie sich seine Nackenhärchen aufstellten, und er schaute sich über die Schulter um.
„Gray.“
Als er die schmeichelnde Stimme seiner Mutter hörte, schloss er kurz die Augen, bevor er sich umdrehte.
Belinda war immer noch eine Schönheit. Die dichten, dunklen Haare, die er von ihr geerbt hatte, glänzten, ihre mandelförmigen braunen Augen waren perfekt geschminkt. Mit der Hilfe von Schönheitschirurgen wirkte sie jünger, als sie war, und sie trug teure, elegante
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