Traeume, zart wie Seide
Unruhe in sich aufsteigen. Er hätte nicht kommen dürfen. Nun hatte er ihr etwas aufgebürdet, womit sie gar nichts zu tun hatte. Und sie verdiente wirklich was Besseres, als für einen Mann wie ihn die Klagemauer zu spielen.
Nein, er hätte einfach nicht herkommen sollen.
Joy konnte Grays Gesichtsausdruck nicht deuten, und auch der plötzliche Themenwechsel ergab für sie keinen Sinn. Während sie ihm Kleinigkeiten aus ihrem Alltag erzählte, hoffte sie die ganze Zeit, dass er sie unterbrechen würde, um zu ihrer vorherigen Vertrautheit zurückzukehren.
„Wie lange bist du überhaupt hier?“, fragte sie schließlich.
„Ich muss morgen früh wieder los.“
„Oh.“
„Und ich sollte jetzt wahrscheinlich zu mir fahren. Es ist schon ziemlich spät.“ Er schaute auf seine Armbanduhr.
„Erst neun. Du könntest noch mit mir essen. Ich hab mir zwar nur etwas von Nates Schmorfleisch aufgewärmt, aber es reicht für zwei.“
„Nein, schon gut. Ich habe keinen Hunger.“
Sie schlug die Beine übereinander und wartete schweigend. Sein Blick fiel auf ihren Fuß, wanderte ihr Bein hinauf und blieb an ihren Brüsten hängen. Hastig senkte er die Lider, als wolle er seine Gedanken vor ihr verbergen.
„Ich muss jetzt los“, sagte er. Als er sich umwandte, um sein Jackett anzuziehen, sah sie seinen Körper im Profil vor dem Kamin. Die locker geschnittene Anzughose verbarg seine Erregung gut, aber nicht gut genug.
Am liebsten hätte sie ihn angeschrien. Der Mann war Hunderte von Kilometern gefahren, nur um sie zu sehen. Hatte ihr ein wunderbares, sehr persönliches Geschenk mitgebracht. Hatte seine Sorgen mit ihr geteilt. Und machte sich dann aus dem Staub, als hätte das alles nichts zu bedeuten.
„Ich wünsche dir eine schöne Woche“, sagte er und schlüpfte in sein Jackett. „Ich rufe dich an, wenn ich wieder in New York bin. Vielleicht am Nachmittag, aber wahrscheinlich wird es Abend.“
Als ob sie nichts anderes zu tun hätte, als auf seine Anrufe zu warten. Und ihm schien das auch noch zu gefallen.
Auf einmal hatte sie dieses Hin und Her ziemlich satt. „Ich bin morgen Abend nicht da“, murmelte sie.
Stirnrunzelnd sah er sie an. „Und was machst du?“
„Nichts Wichtiges.“
Auf einmal ärgerlich, stand sie auf und wollte an ihm vorbeigehen, doch er hielt sie am Arm fest. „Sag es mir trotzdem.“
Unter seinem finsteren Blick wünschte sie sich, ihre Pläne gar nicht erst erwähnt zu haben. Natürlich hatte sie nichts zu verbergen, aber es würde ihm trotzdem nicht gefallen.
„Ich bin mit Tom verabredet.“
Gray ließ sie los, als hätte er sich verbrannt.
„Es ist keine große Sache. Seine Schwester kommt zu Besuch, und …“
„Dann wünsche ich dir viel Spaß.“ Damit drehte er sich um und ging zur Tür.
„Gray. Gray!“ Sie griff nach seiner Hand und war froh, dass er tatsächlich stehen blieb. „Bitte lass uns diesen Abend doch nicht so beenden.“
Doch als er sich über die Schulter umsah, wirkten seine Augen stumpf und leblos.
„Mach dir keine Gedanken. Schließlich haben wir uns nie Monogamie versprochen. Und nur, weil ich der Erste war, heißt das nicht, dass ich auch der Letzte sein werde. Das ist sogar so sicher wie das Amen in der Kirche.“
Sie sog scharf die Luft ein und trat einen Schritt zurück. „Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich gesagt hast.“
„Warum? Es stimmt doch. Du bist jung, schön, unglaublich leidenschaftlich. Und obwohl mich der Gedanke fast umbringt, bin ich realistisch genug, zu wissen, dass dir früher oder später der Richtige begegnet.“
„Aber ich will keinen anderen – sondern dich.“
„Das gibt sich mit der Zeit“, sagte er bitter. „So gesehen finde ich es sogar gut, dass du mit Tom ausgehst. Das wird die Sache beschleunigen, damit wir es beide endlich hinter uns haben.“
Seine Worte trafen sie tief. Als ob die Wärme, die sie ihm gerade gegeben hatte, so schwer zu ertragen war. Verdammter Kerl.
„Wie kannst du es wagen!“, rief sie. „Du hältst dich für so erfahren und weltgewandt, aber weißt du was? Du bist nur bitter und zynisch. Ein seelisches Wrack.“
„Noch ein Grund mehr, warum du mich vergessen solltest.“
Schweigend starrte sie ihn an, strich sich schließlich mit einer schnellen Bewegung das Haar zurück. „Du hast recht. Ich muss das hier beenden, denn du bringst mich an den Rand des Wahnsinns. Nach diesem kleinen Zwischenspiel heute Abend sehne ich mich wirklich nach einem Mann, der weiß,
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