Träume(h)r (German Edition)
die Zeiger der Flik Flak-Uhr um Oles Handgelenk erkennen und jagte sofort hoch.
»Scheiße, wir verpassen unsere Fahrt!«
Er legte einen Fünfziger auf den Tisch und lief unmittelbar danach los, da sie keine Zeit hatten, um auf ihr Rückgeld zu warten. Ihnen blieben nur noch sechs Minuten und bis zum Hauptbahnhof hätten sie, bei einem normalen Spaziergang, locker das Doppelte gebraucht.
Der schlaksige Ole konnte mit seinem Rucksack genauso schnell laufen, wie sein sportlicher Gefährte, der den unpraktischen Seesack bei ihrem Sprint Richtung Bahnhof über seinem Kopf balancierte. Während sie waghalsig zwischen hupenden Autos die letzte Straße überquerten, wurde Marc fast von einem vorbeifahrenden Motorroller erfasst. Er blieb festgefroren auf der Straße stehen.
»Ole«, grölte er durch den lauten Straßenlärm, ohne jedoch gehört zu werden. Er musste zwei weitere Male rufen, bis der knochige Langstreckenläufer endlich stehenblieb und sich zu ihm umdrehte. Marc hüpfte, wie ein aufgeregter Schuljunge in der Mitte der Straße auf und ab, wobei er auf den davonfahrenden Motorroller zeigte. Freudestrahlend ging er auf den Riesen zu und vergaß in diesem Augenblick vollkommen die Autos, die beinahe gesetzlos die Straße regierten.
»Pass auf«, warnte ihn Ole und nur knapp wurde er von einem Fiat verfehlt, dessen Fahrer irgendetwas auf Portugiesisch aus dem Fenster rief und eine Geste machte, die jeder problemlos hätte nachvollziehen können. Es war das universaltaugliche Symbol, das für alle Länder der Welt galt und so viel, wie »Leck mich, du Penner!« bedeutete.
»Wir haben noch zwei Minuten!«, sagte er vorwurfsvoll und wollte gerade wieder loslaufen, doch Marc rührte sich nicht.
»Hätten wir doch sowieso nicht mehr geschafft, außer du kannst dich teleportieren. Ich habe eine bessere Idee!«
Ole konnte sich bereits denken, was auf ihn zukam.
»Das hat ganz bestimmt nichts mit dem Roller zu tun, den du mir gerade zeigen wolltest«, sagte er in einer monotonen Stimmlage, woraufhin sein Kumpel bis über beide Ohren hinweg grinste.
»Genau! Ist doch gar nicht mehr so weit. Du besorgst uns die exakte Route und ich bezahle die Roller!«, sagte Marc entschlossen. Ole war es im Grunde egal, auf welchem Weg sie an ihr Ziel gelangen würden. Ob sie ein oder zwei Stunden oder gar Tage länger bräuchten, spielte für ihn keine große Rolle.
»Wie du meinst. Du bist der Mann mit dem Geld! Du hast die Macht!«, sagte er und wartete einige Sekunden. »Nicht!«
Ihr Vorhaben funktionierte ohne größere Hindernisse. Sie besorgten im Handumdrehen eine detaillierte Wegbeschreibung, die unwesentlich länger war, verglichen mit einer Fahrt über die »Auto-Estrada« und mussten anschließend nur noch die passenden Transportmittel finden.
Auf einer Internetplattform entdeckte Marc, ohne lange suchen zu müssen, zwei alte Vespas, die von einer Privatperson verkauft wurden. Folglich hielten sie am Straßenrand ein herannahendes Taxi an, womit sie auf einen kleinen Hof gelangten, der an den gespenstischen Innenhof des Restaurants »La Vida Loca« erinnerte. Es waren ein alter Greis und sein Sohn, die dort auf ihre potentiellen Kunden warteten. In einem schattigen Plätzchen hatten sie die beiden Motorroller italienischer Herkunft abgestellt.
Die erste Vespa war vom Baujahr 1964, cremefarben und die Worte »erste Serie« betonten die Portugiesen besonders stolz. Marc wusste nicht annähernd, was erste Serie bedeutete, aber es reichte ihm aus, dass der Lack, bis auf ein paar kleine Macken, gut erhalten war und das Gefährt überaus stilvoll aussah. Das erste Mal hatte er solch eine Vespa in einem Film gesehen, den Ole ihm empfohlen hatte. Darin fuhr ein Einheimischer mit seinem Motorroller durch ein kleines Dorf und machte damit seine alltäglichen Besorgungen. In diesem Stil wollte auch er, gemeinsam mit seinem Kumpel, durch Salema fahren.
Der zweite Roller war rot lackiert und ebenfalls in gutem Zustand. Ein Aufkleber von Che Guevara strotze auf dem Beinschutz und sollte wohl jedem entgegenkommenden Fahrzeug zeigen, dass der Fahrer ein Rebell war. Zweifellos Oles Feuerstuhl, dachte sich Marc.
»Ist zwar kein Ferrari, aber immerhin rot!«, sagte er lächelnd an seinen Kumpel gerichtet, der neben der Vespa kniete, um das Gefährt von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten.
»Geiler Schlitten, Turtle! Du verstehst wirklich was von Dingen, die nach etwas aussehen. Vor allem der Aufkleber hier«, Ole zeigte
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