Träume(h)r (German Edition)
stolz. »Ich habe nie daran gezweifelt. Zwar nicht gerade ein Brocken, aber es ist ein Anfang. Gib mir die Paddel, Turtle!«
Marc gehorchte seinem Kumpel und kurze Zeit später waren sie auf dem Weg in Richtung Strand. Nur noch zwei Kilometer trennten sie vom sicheren Ufer. Während er die Ausrüstung, die sie vor ihrer Abfahrt aus dem Meer gefischt hatten, zum Trocknen auf dem Boot verteilte, war Oles selbstzufriedener Blick beim Rudern auf den Fisch gerichtet. In ihrem Triumph bemerkten die beiden nicht, wie sich hinter ihnen das Wasser sammelte. Erst als die Flüssigkeit Marcs Knöchel erreicht hatte, schrak er auf.
»Scheiße Mann, wir haben ein Leck!«
Ole drehte sich wie vom Blitz getroffen um und sah in alle Richtungen. Voller Panik entdeckte er das unerwartete Übel in einer Ecke des Bootes. Es war gerade groß genug, um zwei Finger hindurch zu schieben, aber reichte trotzdem aus, um ihren Kahn im Ozean zu versenken.
Marc riss seinem Freund die Paddel aus der Hand. Mit Unterstützung des Adrenalins, das plötzlich durch seine Adern raste, legte er die Strecke bis zum Strand mindestens genauso schnell wie der Deutschlandachter im Sportrudern zurück. Trotzdem sanken sie unausweichlich. Sie bemühten sich zwar irgendwie das Wasser wieder aus dem Inneren ihres Kahns ins Meer zu befördern, aber es floss schneller hinein, als sie es herausbekamen. Von weitem konnte man erkennen, dass der Rand des Bootes immer kleiner wurde. Ihr Fisch hatte bereits reichlich Platz, um einige Runden in seinem neuen Aquarium zu drehen.
Während sie der Küste immer näher kamen, stellte sich Ole verzweifelt auf und winkte in Richtung Fischerboxen, wo José gerade sein Feierabendbier genoss. Es brauchte etwas bis er verstand, dass sein ehemaliger Lehrling nicht nur zum Spaß mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. Sofort ließ er sein Bier stehen und rannte los. Kurz vor dem Eintauchen ins Wasser, riss er sich das Hemd vom Leib und war in null Komma nichts bei ihnen.
»Was ist los?«, fragte er, noch bevor er an Bord war.
»Wir sinken!«, rief Marc hysterisch und zeigte auf das Leck, wo noch immer Wasser hindurchströmte.
»Und wir haben unseren ersten Fisch gefangen!«, fügte Ole hinzu. José holte ohne viel Zeit zu verlieren einen Gummistopfen aus seiner Hosentasche, den er sich beim Loslaufen eingesteckt hatte und positionierte ihn innerhalb weniger Sekunden in dem kleinen Loch. Die Strömung stoppte sofort.
»So ein Ding sollte man immer mit sich führen, wenn man in einem Ruderboot aus Holz hinausfährt!«, sagte er und packte sich anschließend ihren Fisch, um ihn mit geübtem Griff in einem Eimer verschwinden zu lassen, der in einer Ecke des Bootes schwamm. Dabei fiel Marc die Tätowierung auf, die bei ihrer ersten Begegnung von Josés Kleidung verdeckt wurde. Er hätte eher einen Anker erwartet, aber nun blickte ihn eine große, schlanke Frau in den Mittzwanzigern an, die von der unspektakulären Rettungsaktion gelangweilt schien. Sie tanzte durch die Kontraktion des Unterarms hin und her. Marc schenkte ihr während ihrer weiteren Fahrt in Richtung Ufer keine weitere Beachtung mehr.
»Den wollt ihr doch sicher nicht verkaufen, oder?«, fragte José neugierig über das Schicksal ihrer Beute, nachdem sie an Land gegangen waren. Beide schüttelten den Kopf. Auf den Rat des Seemanns brachten sie den Fisch zu Eduardos Frau, die daraus abends ein köstliches Festmahl bereiten wollte. Auch ihr Mentor José war geladen.
Die beiden Freunde fuhren mit ihren Rollern zur nächstgelegen Zahnarztpraxis, wo Ole seine Zähne behandeln lassen wollte.
»Was war eigentlich der Grund dafür, dass du mir nicht sagen wolltest, wie das Buch ausging?«, fragte er noch bevor sie die Praxis betreten hatten. Ihm war wieder in den Sinn gekommen, weshalb ihr Kahn überhaupt kentern musste und ihm ein Teil seiner Frontbeißer fehlte.
»Ich wollte einfach nicht, dass diese Geschichte unseren Traum vertilgt! Deshalb habe ich dir nichts von der Wahrheit erzählt«, entgegnete Marc. Sein Gegenüber seufzte.
»Wenigstens hast du es mit deiner Lüge gut gemeint.«
»Also sind wir wieder Freunde?«, fragte er reumütig. Ole nickte, womit die Sache für beide erledigt war.
Marc musste alleine im Wartezimmer Platz nehmen, da sein Kumpel direkt in das Behandlungszimmer durchgehen durfte. Offenbar war ein einziger Zahnarzt mehr als genug für solch eine schwach besiedelte Gegend. Er begann wahllos in einer Zeitschrift herumzublättern, die er
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