Träume(h)r (German Edition)
sich von einem Tisch in der Ecke des Raumes genommen hatte. Nachdem ein Artikel auf Portugiesisch überflogen war, von dem er kein Wort verstanden hatte, betrat eine dunkelhaarige Frau den Raum und setzte sich ihm direkt gegenüber auf einen knirschenden Stuhl. Sie grüßte mit einem freundlichen Lächeln und griff daraufhin ebenfalls in den Stapel mit den Magazinen.
Als er zum wiederholten Mal von seiner Zeitschrift aufblickte, um unbemerkt ein Auge auf die Portugiesin werfen zu können, wurde er von ihr in flagranti ertappt und errötete peinlich berührt. Daraufhin sagte sie einige Sätze, denen er nur ein ratloses Schulterzucken entgegnen konnte. Anschließend stand sie auf, tat ein paar Schritte auf ihn zu und streckte ihre Hand in Marcs Richtung aus, der schützend die Zeitschrift vor sich hielt und nur einen Teil seines bärtigen Gesichts präsentierte. Er ließ das Magazin langsam sinken und schaute ihr ängstlich in die Augen. Für einen Moment zögerte er, aber dann, nach kurzer Überlegung, streckte er ihr höflich die Hand zur Begrüßung entgegen. Sie wich erschrocken zurück.
»Verzeihung! Entschuldige bitte, aber das ist ein Missverständnis«, sagte er und hoffte, dass man an seinem Wortlaut erkennen konnte, dass er kein Perverser war.
»Verzeihung?«, fragte sie verblüfft und wartete gespannt auf eine Reaktion ihres Gegenübers.
»Du verstehst mich?«
»Scheinbar genauso gut, wie du mich verstehen kannst«, antwortete sie in akzentfreiem Deutsch.
Nach einer kurzen Unterhaltung stellte sich heraus, dass die vermeintliche Portugiesin genauso portugiesisch wie Marc selbst war. Statt Spanisch oder Italienisch, hatte sie während ihrer Schulzeit das Wahlfach Portugiesisch belegt und beherrschte aus diesem Grund die Landessprache mehr oder weniger gut. Für ihr südländisches Aussehen war ihr Vater verantwortlich, dessen Mutter wiederum iranische Wurzeln hatte. Amüsiert erklärte sie ihrer neuen Bekanntschaft, dass sie lediglich die Zeitschrift, die Marc in seinen Händen hielt, haben wollte. Fälschlicherweise hatte sie sein Schulterzucken als ein Okay gedeutet und war zu ihm herüber gekommen, um das Magazin abzuholen.
»Wer hätte denn vermuten können, dass du ein Deutscher bist?«, sagte sie und lachte los. »Du siehst wirklich so aus, als seist du gerade an der Küste angeschwemmt worden!«
Er hatte sich nach dem Seegang nicht umgezogen und trug seine zerschlissene Fischermontur. Durch die Arbeitstage in der Mittagssonne war er trotz Sonnenschirms, noch dunkler geworden. Zudem wucherte in seinem Gesicht mittlerweile ein Bart, der einer groben Drahtbürste hätte Konkurrenz machen können. Bei solch einem Aussehen war zu erwarten, dass man ihn für einen Einheimischen hielt. Eine perfekte Inszenierung hatte eben auch ihre Tücken.
»Mein Kumpel und ich sind hier in der Gegend Fischer«, erwiderte Marc gelassen und überreichte ihr das Magazin.
»Fischer?«, fragte sie verwundert und musste erneut loslachen. Ihr gefiel sein Humor.
»In dem Dorf Salema. Das ist gar nicht weit weg von hier. Ungefähr zehn Minuten. Ich bin übrigens Marc.«
Freundlich streckte sie ihm, dieses Mal unmissverständlich, die Hand zur Begrüßung entgegen.
»Ich bin Caro. Der Name des Ortes sagt mir etwas. Als Kind war ich öfter mit meinen Eltern an der Algarve-Küste, um hier Urlaub zu machen, aber was meinst du damit, dass ihr Fischer seid?«
Marc war bewusst, dass er nun eine lange Geschichte zu erzählen hatte, aber da er ohnehin auf seinen Kumpel warten musste, erzählte er Caro alles von Anfang an, bis zum heutigen Tag, an dem sie ihren ersten Fisch gefangen hatten und Ole fast seine Schneidezähne eingebüßt hätte. Die bisherigen Geschehnisse klangen allesamt verrückt und unglaubwürdig zugleich.
»Und das soll alles stimmen?«, fragte sie und legte die Zeitschrift neben sich auf den Stuhl. »Das Ding kann ich mir jetzt sparen.«
»Jedes einzelne Detail. Du hast mein Wort!«, entgegnete Marc aufrichtig.
»Dann hast du dich also wirklich kurz vor deinem Abschluss gegen ein geradliniges, wohlstrukturierten Leben entschieden und für ein Dasein als Fischer in Portugal, weil du einen Roman gelesen hast, der damit endete, dass der Held sich an diesem Ort zur Ruhe gelassen hat?«
»Stimmt fast! Natürlich auch wegen Söring, der die Lawine erst ins Rollen gebracht hat, aber das weisst du ja bereits«, fügte er hinzu. Caro war fassungslos. Sekundenlang konnte sie nur schweigen. Dann kam ihre
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