Träume(h)r (German Edition)
sich Marc. Den übrigen Tischgästen war zwar bewusst, dass die Geschichte nicht ganz der Wahrheit entsprechen konnte und es überall Ungereimtheiten gab, aber keiner hatte Interesse daran den Riesen in Verlegenheit zu bringen. Vielmehr gönnte man ihm seinen Erfolg und freute sich gemeinsam mit Ole.
Im Laufe des Abends floss reichlich Alkohol und als Eduardo mit seiner Frau längst zu Bett gegangen war, tranken die beiden Freunde mit José munter weiter. Der Kasten Bier, den sie zur Feier des Tages gekauft hatten, war schon bald leer.
Irgendwann fiel Marcs benebelter Blick auf den Unterarm des Fischers. Durch dessen Hemd konnte er die eintätowierte Frau hindurchschimmern sehen.
»Hey José, darf ich dich mal etwas persönliches Fragen?«
»Du kannst es zumindest versuchen!«, antwortete er und tat einen Zug von seiner Zigarette.
»Was ist eigentlich mit dieser Frau, die du auf deinem Unterarm verewigt hast? Wer ist das?«
Er deutete mit dem Zeigefinger auf Josés Hemdsärmel. Der Fischer folgte seinem Blick und presste die Lippen zusammen. Es sah nicht danach aus, als würde er über eine Antwort nachdenken.
»Welche Frau meinst du, Turtle?«, fragte Ole ahnungslos. Ihm war weder bei ihrem Kennenlernen, noch während Josés Rettungsaktion, die Tätowierung aufgefallen.
»Er meint die Frau, die mein Leben durcheinander gebracht hat!«
Melancholie erfüllte die Stimme des Mannes. Er hatte sich nach kurzem Zögern doch dazu entschieden zu reden und erzählte seinen ehemaligen Lehrlingen die Geschichte vom Seemann José und seiner deutschen Liebe.
»Als ich ein junger Mann war, gerade so alt wie ihr, da kamen hier in Salema die ersten Rucksacktouristen und Hippies vorbei, die das Land erkunden wollten. Sie genossen das ruhige Leben, lagen am Strand herum und wohnten in ihren kleinen, bunt bemalten Bussen direkt an der Küste. Damals gab es hier noch keine Hotels und Pauschaltouristen. Als neugieriger Jüngling freundete ich mich schnell mit den Ausländern an. Eines Tages tauchte dann sie auf.«
Seine Stimme nahm auf einmal einen hellen Klang an und die sonst so dunklen Augen strahlten wahrhaftig.
»Wie in einem Märchen verliebten wir uns und hatten gemeinsam die schönste Zeit unseres Lebens. Irgendwann endeten ihre Ferien und somit auch ihr Aufenthalt in Salema. Sie musste zurück nach Deutschland und ich packte ohne lange zu zögern meine Sachen und folgte ihr. In Berlin habe ich dann eure Sprache erlernt und konnte uns mit Aushilfsjobs über Wasser halten. Alles nahm seinen Lauf und funktionierte. Kurz vor Ende ihres Studiums wurde sie dann schwanger und wir freuten uns sehr über unser Glück, aber dann trat die Wende ein.«
Er musste sich nun zusammenreißen und zog so fest an seiner Zigarette, dass vorne die Glut hell aufleuchtete.
»In dem damaligen Tumult hatte man mich inhaftiert. Ich wurde ohne jegliche Angabe von Gründen sechs Monate lang festgehalten. Als man mich endlich freigelassen hatte, war unsere Wohnung komplett leergeräumt. Sie dachte bestimmt, dass ich aus Angst vor der herannahenden Vaterschaft und Verantwortung das Weite gesucht hätte.«
Der Fischer vergrub mitgenommen das Gesicht in den Händen und fuhr fort.
»Ich habe halb Deutschland auf den Kopf gestellt, aber ich konnte sie nicht finden. Ohne jegliche Spuren hinterlassen zu haben, war sie wie vom Erdboden verschluckt. Enttäuscht kehrte ich nach Salema zurück. Meine letzte Hoffnung war, sie hier anzutreffen und so warte ich bis heute auf ein Lebenszeichen. Irgendwo muss meine Liebe sein«, die erste Träne kullerte nun über seine Wange. »Und irgendwo muss auch mein Kind sein.«
Er krempelte seinen Ärmel hoch, um seine Geliebte ansehen zu können. Ohne die Kontraktion der Muskeln, sah sie irgendwie trist aus.
»Ich werde sie niemals vergessen«, sagte der Seemann und strich zärtlich mit dem Zeigefinger über die bunte Stelle auf seiner Haut. »Wenigstens auf meinem Unterarm wirst du mir immer erhalten bleiben.«
Ole hatte die Tätowierung, seitdem José seinen Hemdsärmel hochgekrempelt hatte, mit starrem Blick fixiert. Vorsichtig griff er nach dem Handgelenk des Fischers und zog es zu sich, um sich hundertprozentig sicher zu sein.
»Das ist meine Mutter!«, sagte er schockiert und konnte selbst kaum glauben, was er da gerade ausgesprochen hatte. Marc klappte die Kinnlade herunter.
»Du machst wohl Witze! Wie heisst deine Mutter?«, fragte José und fing vor Aufregung an zu zittern.
»Ihr Name ist Heike. Heike
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