Träume(h)r (German Edition)
sah man auf einen riesigen Fischkutter, dessen leere Netze von trist dreinblickenden Seeleuten in die Linse gehalten wurden. Der Titel lautete »Fischsterben im Mittelmeer«. Keine bahnbrechenden Neuigkeiten, dachte er sich und wartete gespannt auf die nächste Schlagzeile. Noch zwei Stopps. Eine Werbung für Kartoffelchips, die doppelt so lange eingeblendet wurde, wie die Nachrichtenanzeigen und nicht einmal halb so viel zu lesen beinhaltete, folgte. Noch ein Stopp. Unerwartet blickte Marc in ein altbekanntes Gesicht. Es war Professor Doktor Christian Söring, wobei der ehemalige Dozent inzwischen beide Titel verloren hatte und man sicher von Glück sprechen konnte, dass er trotz aller Vergehen seinen Vornamen behalten durfte. Aufmerksam las er den Artikel mit der Überschrift »Die letzten Tage sind gezählt«. Anschließend lehnte sich Marc zufrieden zurück und stellte sich vor in welche Richtung sein Leben verlaufen wäre, wenn er an dem Tag seiner Klausur keinen Fensterplatz zugeteilt bekommen hätte.
Als er gerade wieder nach vorne schauen wollte, um die nächste Schlagzeile einzufangen, fiel ihm auf, dass er bereits an seiner Station angekommen war. Die Bahn hielt schon seit einigen Sekunden. Vor Schreck sprang er sofort auf und schaffte es noch in letzter Sekunde, bevor sich die automatischen Türen geschlossen hatten, hinaus zu gelangen.
Vollkommen außer Atem beobachtete er, wie sich die Wagons in Bewegung setzten. Durch eines der Fenster konnte Marc erkennen, dass sein Rucksack nach wie vor auf dem selben Platz lag, wo er ihn beim Betreten der Bahn abgelegt hatte. Hastig griff er nach seinen Hosentaschen und stellte sofort fest, dass sich das Smartphone in der Innentasche seines Sakkos befinden musste, welches er, zusammen mit der Eintrittskarte für die Modenschau, in seinem Rucksack verstaut hatte.
»Scheiße!«, schrie er laut. Einige Passanten drehten sich nach ihm um. Marc wurde schlagartig heiß. Er blickte auf seine Uhr. Nur noch zwanzig Minuten bis zu dem Treffen und er konnte sich lediglich an den Straßennamen des Veranstaltungsorts erinnern. Davon abgesehen hatte er keine Ahnung, wie er dorthin kommen sollte, da er sich vollkommen auf sein Handy verlassen hatte.
Vor der U-Bahnstation hielt er vergeblich nach einem Taxi Ausschau und fragte jede vorbeikommende Person nach dem Weg. Ohne Erfolg. Anschließend kramte er verzweifelt in seinen Hosentaschen nach etwas Nützlichem, um wenigstens eine Münze zu finden, mit der er jemanden hätte anrufen können, aber auch dabei blieb er erfolglos.
Zu seiner Verwunderung entdeckte er zwei ganz andere Gegenstände, bei denen er erst gründlich nachdenken musste, wie sie überhaupt den Weg in seine Taschen gefunden hatten. Es waren ein Kompass und eine Karte. Er hatte sie bei dem Antritt ihrer Reise nach Salema eingesteckt, um sein Weltenbummler-Outfit zu perfektionieren. Damals hatte Ole noch kritisiert, was er mit einem antiken Kompass und einem Stadtplan von Hamburg auf ihrem Weg nach Portugal anfangen wollte, aber in dieser Situation erwiesen sich die beiden Utensilien als überaus nützlich. Er war froh gerade diese Hose mitgenommen zu haben, die seine Mutter am Vorabend beinahe mit der anderen Wäsche in die Waschmaschine gelegt hätte.
Nachdem er den genauen Punkt auf der Karte ausfindig gemacht hatte, nahm er den Kompass in die Hand und lief los. Als moderner Mensch des einundzwanzigsten Jahrhunderts war er nicht mehr daran gewöhnt mit einer Karte nach der richtigen Route zu suchen. Trotzdem erreichte er mit nur fünfzehn Minuten Verspätung den Eingang der Veranstaltung.
Vor ihm befand sich eine düstere Lagerhalle, die mit viel Aufwand glamourös hergerichtet worden war. Riesige Scheinwerfer strahlten auf einen roten Teppich, der von Securitypersonal bewacht wurde.
Sofort eilte Marc zu den Sicherheitsleuten und erklärte ihnen in kurzen Worten seine missliche Lage. Dennoch wollten sie ihn nicht durch lassen.
»Ich heiße Marc Fröhlich. Können sie bitte auf der Gästeliste nachsehen? Dort müsste mein Name stehen.«
Langsam begann einer der beiden Gorillas darin zu blättern, wobei er eher auf sein Handy fixiert war.
»Geht das vielleicht etwas schneller? Ich habe es wirklich eilig!«, drängte Marc, der inzwischen fünfundzwanzig Minuten im Verzug war. Der Muskelberg hob seinen Kopf, lächelte und fuhr in aller Ruhe fort.
Durch einen Spalt in der Eingangstür konnte er einen Blick auf das Innere der Lagerhalle erlangen. Die Show
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