Traeumer und Suender
Herz schneller schlug.
Nach Venedig hatte ihn der alte Mann immer öfter angerufen, ihn sogar noch zweimal in sein Haus in Sperlonga eingeladen, ihm von sich erzählt, mit ihm gegessen, ihm beim Weintrinken zugesehen, ihn ausgefragt, sehr behutsam, ihm die mittelalterliche Stadt und die Tiberiusgrotte, wo der römische Kaiser angeblich seine dekadenten Feste gefeiert haben sollte, gezeigt. «Betrachten Sie mich als Ihr Material», hatte Erlenberg ebenso pathetisch wie ironisch verkündet. «Aber sehen Sie auch genau hin, horchen Sie in sich hinein. Ob Sie nicht doch etwas finden, was bei Ihnen vielleicht auf fruchtbaren Boden fällt.»
Er war sich nicht sicher gewesen, auf was für eine Art vonVerständnis oder Austausch es der alte Mann abgesehen hatte. Jedenfalls begannen sie mehr und mehr, vor allem am Telefon, über die aktuelle Lage des «Aufmarschgebiets» zu beraten, wie der Produzent es ironisch nannte. Er plauderte aus der Produktion. Und er plauderte nicht nur, er zeigte, er lieà dem Interviewer per Motorradkurier ein Exemplar der aktuellen Drehbuchfassung zukommen, mit der weder er, der Produzent, noch Ridley, der Regisseur «so ganz glücklich waren».
«Was kann ich helfen?», hatte er gefragt und gespürt, wie der alte Mann am anderen Ende der Leitung, in seinem kühlen Haus unweit der See, lächelte.
Er hatte sich reingefuchst. Das Drehbuch war ihm bald genauso groÃartig wie unglaubwürdig vorgekommen. Unglaubwürdig, weil die Liebesgeschichte (mit Nicole Kidman und Marek, dem neuen Heath Ledger) eigentlich nicht in das Kriegsszenario passte, auch wenn der alte Mann da ganz anderer Meinung gewesen war.
«Der Zuschauer braucht eine Identifikationsfigur», hatte der Produzent immer eingeworfen, wenn das zur Sprache kam. «Gerade in einem Kriegsfilm.»
«Sie meinen die Zuschauerin», hatte der Interviewer widersprochen, und der alte Mann hatte gelächelt und ebenjenen Satz gesagt, den alte Männer so gerne zu ihren Bewunderern sagen: «Sie lernen schnell.»
Und man hatte ihm angesehen, wie er sich freute, ihn endlich anbringen zu können.
Von da an lieà der Produzent ihm fast täglich durch sein Sekretariat seine Ãberlegungen zur Musik, Fotos der Set-Entwürfe, Casting-DVDs und die Einwände und Vorschläge der beratenden Historiker, eines polnischen und eines deutschen Experten für den Beginn des «Nazikriegs», zukommen.
Als er dann die Tickets nach Rom bekam â er musste keine Reiseanträge mehr ausfüllen, die Redaktion zahlte ihm ein üppiges Tagegeld â, waren sie fast beim Du angelangt. Der Produzent hatte vorgeschlagen, die Reise und den Aufenthalt doch auch zu nutzen, damit er «seine Lebensgefährtin» endlich einmal kennenlernen könne. Dann hatte er ihm zugezwinkert, Venezuela wäre ja wohl noch zu weit weg. Der Interviewer wusste, Melanie wäre entzückt gewesen, besonders über die Titulierung. Aber es war genau die Art ihres Entzückens, dieses Geschmeichelte, Kleinbürgerliche, auf jede Art von Nobilitierung Bedachte, die ihn abschreckten, die Einladung zu einer gemeinsamen Reise weiterzugeben. Auch wenn es ihm am Anfang nicht viel anders ergangen war. Er wollte weiterkommen.
Melanie war fast wieder bei ihm eingezogen, hatte es sich, wie sie es ausdrückte, bei ihm gemütlich gemacht. Er hasste dieses Wort. «Gemütlich». Während er sich durch die Produktionsabläufe und Entscheidungsprozesse kämpfte, die das Büro des alten Mannes ihm offenlegte, dazu die Rechercheergebnisse, für die er aus der Redaktion einen Mann abgestellt bekommen hatte, lag sie auf der Couch, kochte, sah fern, erzählte ihm von ihrer Arbeit â sie war im mittleren Management einer Bank, hatte mit internationalen Anlagen und Entwicklungsfonds zu tun, eine Fair-Trade-Bankenorganisation, wie sie betonte, er kenne ja das
Grameen-
Projekt?, und er hatte nur automatisch genickt, sich daran erinnert, dass sie, ganz zu Anfang ihrer Beziehung, als er noch neu in München gewesen war, immer wieder begeistert davon erzählt hatte, wie man durch Kleinstkredite, besonders an Frauen, für Motorroller, Garküchen, Saatgut und Sonstiges nachhaltige Entwicklungshilfe leisten könne. Wenn sie nicht ihren Bankgeschäften in München nachging, reiste sie viel. Nach Afrika, Indonesien. Er fand es besser, wenn sie verreist war. Ja, es war besser,wenn sie
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