Traeumer und Suender
er machte, alles wichtig. Man druckte und sendete, besprach und schätzte, was er schrieb, ganz egal, ob er sich dem, was er da von sich gab, eigentlich gewachsen fühlte. Der Mann im Hintergrund war durch ihn plötzlich sichtbar geworden, verletzlicher, erlebbar, als Person. Und alles, was mit ihm zusammenhing, besonders die nun anstehende Verfilmung des Gleiwitz-Ãberfalls, trat plötzlich vom Rand des innerindustriellen Rumorens in den Fokus der Ãffentlichkeit. Vorabberichte erschienen in allen Zeitungen, Diskussionen über Sinn und Machbarkeit wurden geführt, sogar eine Talkrunde mit Historikern im ersten Programm war im Gespräch, und dass, bevor überhaupt irgendwelches Material, auÃer seinen Berichten und den geschickt lancierten Clips aus Wochenschaumaterial, Storyboards und Voiceover der Produktionsfirma und des Verleihs, im Internet zirkulierte. Die Trailermaschinerie funktionierte. Und das in einem AusmaÃ, wie er sich das nie hatte vorstellen können. Das Thema Gleiwitz faszinierte plötzlich ein Massenpublikum. Monate vor dem eigentlichen Drehbeginn. Auch am Set, hatte ihm die Sekretärin der Produktionsfirma versprochen, würde er auf Geheià des alten Mannes ungehindert Zugang haben â auch zu den Stars, soweit das in seiner Macht stünde, hatte der Produzent ihm versichert â, und er hatte weitere Exklusivaufträge für Interviews und Berichte nicht nur von seiner Münchner Redaktion in der Tasche. Plötzlich steckte er in einer wahren Geldschwemme. Und nicht nur das. Ein Agent war an ihn herangetreten, der ihm, nach Zuspruch des alten Mannes, wie er immer wieder betonte, einen Verlagskontaktmachte und gleich eine hübsche Summe aushandelte für ein Buch über den Produzenten. Irgendetwas zwischen Biografie, Filmessay und Zeitporträt sollte es werden, keine
Romane
bitte, man wolle ja wirklich verkaufen. Und er hätte ja auch selber «Medienpotenzial». Das habe sein Kurzauftritt in zwei Berichten über
Gleiwitz
in den dritten Programmen ja schon bewiesen. Für mindestens ein Jahr war er mit Arbeit geradezu überversorgt.
«Es ist schön, dass Sie schon auf sind. Heute ist ein groÃer Tag, das kann man spüren.»
Sein Agent â seiner! â hatte sich von dem alten Mann das Okay geben lassen, er, der Interviewer, war jetzt offizieller Biograf. Autobiograf sollte man sagen, dachte er, oder Audiobiograf, denn viel mehr als das Aufnahmegerät zu bedienen und den alten Mann bei Laune zu halten oder ihn mit winzigen Ausbrechern sanft in die richtige Richtung zu lenken, hatte er bis jetzt ja gar nicht getan. Nun ja, das aufgeschrieben. Und das hatte Spaà gemacht.
Der alte Mann wandte sich von seinem schräg in die Länge gezogenen Bild in der Kaminecke ab und drehte sich dem Interviewer zu.
«Neue Preise zu stiften â zumindest ideell â, ist immer so aufregend, und es tut mir gut, mal aus Rom rauszukommen. War die Fahrt nicht angenehm? Ralph hat aus dem alten Quattroporte doch alles rausgekitzelt, nicht wahr? Ich habe eine Schwäche für schnelle Autos. Und auf Neptuns Dreizack durch Italien zu rasen, das ist etwas Wunderbares.»
Er hatte hinten gesessen, fühlte sich in dem alten Maserati, der dröhnte wie die Hölle, eingeschlossen wie eine hilfloseSardine. Als sie an der Autostrada bei Arezzo kurz Rast gemacht hatten, konnte er sich gerade noch auf das Klo flüchten, um das Frühstück wieder von sich zu geben, bevor es nach einem Kaffee mit 250 km/h Höchstgeschwindigkeit, die Ralph immer wieder, in Intervallen und angesichts der Beschilderung sowie der Verkehrslage verbotenerweise aus dem Wagen herauskitzelte, weiterging. Knapp über drei Stunden hatten sie gebraucht, wie Ralph stolz vermerkte, wie viele Tickets das gab, wie viele Male er geblitzt worden war, wusste er nicht, aber seltsamerweise hatten die Carabinieri, die der Interviewer zweimal auf der rechten Fahrbahn bei Ralphs waghalsigen Ãberholmanövern in ihren Alfas erspäht hatte, nicht eingegriffen.
Sie hatten Rom im Chaos hinterlassen. Eigentlich hatten sie Ridley Scott und das kreative Team von
Gleiwitz
treffen wollen, um den Produktionsplan durchzugehen; der alte Mann hatte aber bereits am Flughafen Fiumicino, als er ihn in einer dicken Studiokarosse abholte, gesagt, dass es Probleme gäbe.
«Ein kleines Cashflow-Problem», hatte er es genannt, der Interviewer erinnerte sich, dass sein
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