Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Krankenhaus weit und breit, und das glaube ich ihr unbesehen. Wie ich meine Schwester kenne, hat sie sich, sobald Jeff die Diagnose bekam, sofort mit Feuereifer an die Recherche gemacht und sich über die beste Behandlungsmethode informiert, das beste Krankenhaus ausgesucht, und den besten Arzt. Ihre erklärte Mission war sicher, eine Expertin für Hodenkrebs zu werden und alles darüber in Erfahrung zu bringen, was man überhaupt wissen kann.
Tatsächlich wartet sie schon im Foyer auf mich, etliche farblich abgestimmte Schnellhefter in der Hand und eine Aktentasche unter dem Arm, die vor Papierkram schier überquillt.
»Was schleppst du denn da mit dir rum?«, frage ich und umarme sie zur Begrüßung.
»Rechercheergebnisse«, erklärt sie knapp und erwidert meine Umarmung mit ihrer altbekannten statuesken Starre.
Der Mann meiner Schwester mag zwar Krebs haben, aber deswegen braucht man ja nicht gleich gefühlsduselig zu werden.
»Wo ist denn Jeff?«, erkundige ich mich und gucke mich um.
»Er ist gerade noch mal zur Toilette gegangen. Das ist die
Aufregung«, sagt sie, selbst völlig unaufgeregt. »Dabei habe ich ihm gesagt, dass das ein reiner Routineeingriff ist. Ich habe sämtliche Statistiken gelesen.« Womit sie mir mit einer grünen Mappe vor der Nase herumwedelt. »Einer kürzlich durchgeführten Studie des National Cancer Institute zufolge liegt die Fünf-Jahres-Überlebensquote bei neunundneunzig Prozent, sofern der Krebs noch nicht gestreut hat.«
Und was ist mit dem einen Prozent? , meldet sich ein kleines verängstigtes Stimmchen in meinem Kopf zu Worte, das mich regelmäßig mit seinen »Was, wenn?«-Fragen in Angst und Schrecken versetzt. Entschlossen überhöre ich es.
»Er schafft das schon«, meine ich nickend.
»Natürlich.« Sie nickt ebenfalls. »Keine Frage.«
»Hey, Ladys.«
Beide drehen wir uns um und sehen Jeff den Gang entlang auf uns zukommen. Er hat noch weiter abgenommen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, und ich gebe mir große Mühe, nicht zu zeigen, wie sehr mich sein Anblick schockiert, als ich auf ihn zugehe und ihn umarme.
»Hey, treibst du dich öfter hier rum?«, witzelt er und versucht, die angespannte Stimmung wie so oft mit seinem trockenen Humor etwas aufzulockern.
Ich lache. »Hast du mit dem Spruch meine Schwester rumgekriegt?«
»Nein, sie hat mich angequatscht«, entgegnet er und lächelt mir verschmitzt zu.
Meine Schwester schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Habe ich gar nicht. Das weiß ich noch ganz genau. Das war bei einer Halloweenparty, und du hast mich gefragt, ob ich schon mal einen Iren geküsst habe.«
»Und was hast du geantwortet?« Ich finde dieses kleine Geplänkel höchst amüsant und wende mich interessiert an meine Schwester. Die Geschichte kenne ich noch gar nicht.
»Ich habe gesagt: ›Ja, etliche, als ich noch für McGrath in Dublin gearbeitet habe.‹«
Sie sagt das, ohne eine Miene zu verziehen, und ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. So ist Kate. Sie hat auf alles eine Antwort. Sogar auf abgeschmackte Anmachsprüche.
»Und was hast du dann gemacht?« Ich schaue Jeff an, der einen Heidenspaß an der Geschichte hat.
»Ach, du weißt schon. Ich habe ihr mit meiner Keule eins übergezogen und sie an den Haaren in meine Höhle geschleift.«
»Hast du nicht«, japst Kate indigniert, in deren Kopf eine kleine Feministin gerade fäusteschwingend in Stellung geht.
»Nein, stimmt, habe ich nicht«, gesteht er grinsend. »Ich habe ihr gesagt, dass ich noch nie eine bildhübsche blonde Engländerin geküsst habe, und ob ich es wohl mal probieren dürfte?«
Niemand sagt was, aber die beiden schauen sich tief in die Augen.
»Du alter Romantiker«, murmelt meine Schwester leise und drückt seinen Arm.
Ich schaue den beiden stumm zu. Es ist ein zärtlicher Moment. Sie mit ihren farblich abgestimmten Heftern, dem schicken Kostüm und der »Business as usual«-Attitüde; er, der aussieht, als bewahrte er nur mühsam die Fassung, unrasiert, nackte Angst in den Augen. Zwei Menschen, die für einen Moment alles um sich herum vergessen, während rechts und links der geschäftige Krankenhausalltag ungerührt weitergeht.
»Wo wir gerade bei Warmduschern sind.« Jeff dreht sich zu mir um. »Ich habe gehört, du hast neulich Abend versucht, eine Katze zu retten, und hast deswegen einige Scherereien gehabt.«
Oh Mist.
»Scherereien? Was denn für Scherereien?«
Ich schwöre Ihnen, meine Schwester hat Ohren wie Radarschüsseln. Die
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