Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Rock mit Tinte einzusauen. Nicht das Pärchen mit dem kleinen Jungen, das unser Schild »Bitte nicht berühren« falsch interpretiert und als »Bitte alles mit klebrigen Dreckpfoten antatschen« versteht. Nicht mal der griesgrämige Mann bei Katz’s hinter der Theke, bei dem ich mittags unsere übliche Bestellung abhole. Alles und jeder ist wunderbar. Das Leben ist wunderbar.
Sogar meine Haare sind wunderbar.
Na ja, gut, vielleicht nicht wunderbar , aber zumindest nicht so fisselig wie sonst und auf jeden Fall viel glänzender.
Den ganzen Tag über piepst mein Handy wie ein Herzfrequenzmesser, weil Nate mir ununterbrochen Nachrichten schickt. Lustige SMS, freche SMS, romantische SMS – sowie etliche sehr eindeutige SMS, bei denen ich mich errötend auf die Toilette verkrümele, ehe ich sie beantworte. Magda mag zwar die unverkrampfteste, aufgeschlossenste Chefin sein, die ich je hatte, aber es gibt gewisse Dinge, die ich vor ihren Augen nie tun würde, und »Nackt mit Schlagsahne« zu tippen gehört dazu.
Den ganzen Weg von der Arbeit nach Hause schwebe ich auf Wolke sieben. Das Heulen der Polizeisirenen und der irre Feierabendverkehr rauschen unbemerkt an mir vorbei, und
auch als mir jemand heftig auf den Fuß tritt, merke ich es kaum. Genauso wenig wie die drei Stockwerke zu meiner Wohnung, die ich sonst mühsam hinaufhechele, derweil ich meine nicht vorhandene Fitness beklage. Stattdessen lebe ich heute in meiner eigenen kleinen Welt namens Planet Nate wie in einem schützenden Kokon, gleite mühelos die Treppe hinauf, bis ich vor meiner Wohnung stehe und die Tür aufschließe.
Um dann festzustellen, dass der Fernseher läuft und Robyn mit Simon und Jenny auf der Couch liegt. Ein bereifter Arm winkt mich über die Rückenlehne zu dem trägen Trio hinüber. »Du kommst gerade rechtzeitig.Jetzt kommt das Interview von Oprah mit dem Mann, der ein Baby bekommen hat.«
»Mein Gott, ich fasse es nicht!«, platze ich heraus und lasse mich neben sie auf das Sofa plumpsen.
»Na ja, eigentlich ist es kein richtiger Mann, aber sie hat einen Bart und so.«
»Es ist einfach unglaublich«, erkläre ich kopfschüttelnd.
»Nein, du verstehst das nicht. Eigentlich ist es eine Frau, aber sie nimmt männliche Hormone. Vermutlich bloß, um ins Fernsehen zu kommen.« Anklagend fuchtelt sie mit der Fernbedienung herum.
»Ich kann es immer noch nicht glauben«, murmele ich wie benommen.
»Nein, Lucy, kapierst du es denn nicht?« Robyn reißt den Blick vom Fernseher los und guckt mich an, und dann unterbricht sie sich plötzlich und mustert mich kritisch. Sie legt die Stirn in tiefe Dackelfalten. »Lucy, ist alles okay? Du sieht so komisch aus.«
Worauf ich die Knie anziehe, meine Arme drum herumschlinge und ins Leere starre und dazu ein bescheuertes Gesicht mache. »Ich habe mit einem Mann geschlafen. Es war großartig. Ich glaube, ich bin verliebt.«
Robyn sieht aus, als hätte ihr gerade jemand mit einer
Schaufel auf den Kopf gehauen. Wie betäubt drückt sie die Pause-Taste der Fernbedienung und lässt Oprah auf dem Bildschirm erstarren. »Woah, woah, woah«, quiekt sie und streckt mir beide Hände entgegen, was wirkt wie eine Pose aus einer Tanzeinlage der Supremes. »Ganz langsam. Noch mal ganz von Anfang an.« Energisch streicht sie sich eine ihrer Locken hinters Ohr und mustert mich eindringlich aus ihren funkelnden grünen Augen. »Sex? Liebe? Mit wem? «, will sie wissen.
»Nathaniel«, flüstere ich mit einem verträumten Lächeln.
Ihre Augen werden groß wie Suppenschüsseln. »Du meinst deine ganz große Liebe ?«, keucht sie mit ehrfürchtig erstickter Stimme.
Ich nicke, und ein kleiner Freudenschauer durchrieselt mich. »Meine ganz große Liebe«, bekräftige ich mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl.
Man hört sie nach Luft schnappen, und dann schießt Robyn hoch wie das Mädel aus Der Exorzist , mit wildem Armerudern, Augenverdrehen und Nasenflügelflattern. Simon und Jenny springen erschreckt von der Couch und fangen an zu winseln.
»Oh Mann, Lucy!«, kreischt sie. »Ich kann es nicht glauben! Na ja, obwohl eigentlich schon«, korrigiert sie sich sofort. »Die Macht des Universums hat euch zusammengebracht. Ich wusste es gleich, als du mir die Geschichte erzählt hast … du und Nathaniel, ihr seid füreinander bestimmt. Das ist Kismet.« Womit sie den Kristallanhänger an ihrem Hals fest umklammert und atemlos weiterredet. »Also, raus mit der Sprache, was ist passiert?«
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