Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
in höchster Not in Form neu eintreffender Gäste. »Ooh, schauen Sie mal, noch mehr Gäste!« Und damit wedele ich mit der Gästeliste wie mit einer Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte herum und flitze schnell zum Eingang.
Natürlich kann ich nun nicht wieder zurückgehen, bis die Luft rein ist, also mache ich mich, nachdem ich die Neuankömmlinge auf meiner Gästeliste abgehakt habe, auf die Suche nach Nate. Der tigert, als ich ihn schließlich entdecke, unruhig auf und ab und führt, wild in der Luft herumgestikulierend, Selbstgespräche. Zumindest glaube ich, er führt Selbstgespräche, bis ich das kleine blaue Licht an seinem Ohr
sehe und mir aufgeht, dass er sein Bluetooth-Headset trägt und telefoniert.
Immer noch .
Ich unterdrücke die aufsteigende Enttäuschung. Er telefoniert schon den ganzen Abend mit dem Studio, und ich habe kaum ein Wort mit ihm gewechselt. Trotzdem, so ist das wohl nun mal, wenn man ein angesagter Fernsehproduzent ist, sage ich mir. Als er mich sieht, guckt er schuldbewusst zu mir rüber, und ich versuche ihm mit meinem Blick »Alles halb so schlimm« zu signalisieren. Ist nicht tragisch. Schließlich habe ich mehr als genug zu tun.
Also drehe ich mich um und spaziere wieder nach drinnen. Es ist immer noch ziemlich voll, und ich mische mich ein bisschen unters Volk, rede mit einigen Journalisten und schüttele unzählige Hände.
Veranstaltungen zu organisieren gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken, und ich gebe zu, einige Mails kamen wieder zurück, weil ich sie versehentlich an die falschen Leute verschickt hatte, und dann war da auch noch das Malheur mit dem Partyservice.
Na ja, ich sage zwar Malheur, aber es war nicht meine Schuld. Woher sollte ich bitte wissen, dass »Fingerlecken & Zuckerschnecken« kein Cateringservice ist? Als ich im Internet nachgeschaut habe, stand da, sie »erfüllen sämtliche Wünsche«, also habe ich eine E-Mail mit Bitte um Zusendung einer Preisliste hingeschickt und daraufhin eine vollkommen andere »Speisekarte« zugesandt bekommen, als ich erwartet hatte.
Ich will mich ja nicht selbst loben, aber ich finde schon, dass ich meine Sache ganz gut gemacht habe. Obwohl die meisten Anwesenden sich mehr für das kostenlose Essen und den Alkohol zu interessieren scheinen als für die ausgestellte Kunst. Manchmal muss ich mich fragen, ob sie die überhaupt bemerken. Jedenfalls kommen mir leise Zweifel, als ich mich
umsehe und staunend die fantastische Pinselführung und das Kaleidoskop an Farben an unseren Wänden bewundere, und wieder das altvertraute Verlangen verspüre, zur Palette zu greifen, kreativ zu sein, meiner Fantasie und dem Pinsel freien Lauf zu lassen …
Aber das sind mal wieder bloß kindische Flausen, denke ich und schiebe den Gedanken rasch beiseite. Schließlich hatten wir das schon mal, schon vergessen? Und du weißt ja, wie das geendet hat: pleite und arbeitslos. Nein, so ist es wesentlich besser. So kann ich in New York in einer tollen Galerie arbeiten und Veranstaltungen wie diese organisieren. Ich meine, da soll mal einer sagen, ich sei kein kleines Glücksschwein!
Mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit lasse ich den Blick über die anwesenden Gäste schweifen. Fast alle, die wir eingeladen haben, sind auch tatsächlich gekommen. Da sehe ich Mr. und Mrs. Bernstein, Freunde von Magda und eifrige Kunstsammler, dieses Supermodel, dessen Namen ich mir nie merken kann, einen Journalisten von Time Out … Moment mal, wer ist das denn?
Mein Blick bleibt an einem Typen mit Baseballkappe hängen, unter der sich dichte, dunkle Haare ringeln. Er trägt ein weiteres Army-T-Shirt und eine Jeans mit zerrissenen Knien. Schnell überfliege ich die Namen auf der Gästeliste, aber ich habe alle abgehakt. Mit Ausnahme von Jemima Jones, und er sieht nicht gerade aus wie eine Jemima Jones.
Unauffällig beobachte ich ihn ein paar Minuten lang. Er schlendert durch die Galerie, verputzt Hackbällchen wie Pacman und trinkt ein Glas Sekt nach dem anderen. Irritiert sehe ich zu, wie er ein Glas mit großen Schlucken austrinkt und gleich ein neues Glas vom Tablett nimmt. Der futtert und säuft, ohne die Arbeiten an der Wand auch nur eines Blickes zu würdigen.
Der Kerl bringt mich auf die Palme. Solche Typen kenne ich.
Vergessen Sie ungeladene Hochzeitsgäste. Das hier ist ein ungeladener Vernissagenbesucher.
»Entschuldigen Sie.«
Entschlossen marschiere ich rüber und klopfe ihm auf die Schulter, worauf er vor Schreck zusammenfährt,
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