Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
sie mein langes Gesicht sieht, fügt sie schnell hinzu: »Zehn Jahre und keine ganze Woche.«
Es ist Sonntagmorgen, und Robyn und ich sind mit den Hunden zum Spaziergang im Battery Park, wo wir letztlich nur mit einem Eishörnchen im Gras in der Sonne sitzen, während Simon und Jenny um unsere Füße herumschnüffeln.
»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sage ich und lecke trotzig an meinem Eis.
»Meinst du die Trennung oder das, was er gesagt hat, über deine …?« Sie bricht ab und guckt mich an, als wolle sie sagen: Du weißt schon .
Ich habe Robyn von unserem Streit erzählt, und sie hat genau an den richtigen Stellen verständnisvoll genickt oder begeistert »Richtig so, Süße!« gekreischt. Als ich zu seiner Bemerkung meine Oberschenkel betreffend kam, schnappte sie heftig nach Luft und verstummte völlig vor Schreck. Was bei Robyn schon einiges heißen will.
Oder auch nicht, wie sich noch zeigen sollte.
»Beides«, antworte ich und beiße rebellisch ein großes Stück meiner Doppel-Schokoladen-Butterkaramell-wasauch-immer-Eiscreme ab. »Wenn ich nur daran denke, dass ich jahrelang rettungslos in ihn verliebt war.«
»Besser geliebt und verloren als nie geliebt«, bemerkt Robyn weise.
»Ich habe ihn nicht verloren!«, japse ich indigniert. Worauf Simon das Schnüffeln im Gras einstellt, die Ohren spitzt und mich verschreckt anschaut. »Ich habe mit ihm Schluss gemacht!«
Robyn guckt mich etwas verwirrt an. »Ich dachte, er hat mit dir Schluss gemacht«, wendet sie etwas verunsichert ein.
»Na ja, hat er ja auch … sozusagen«, gebe ich widerwillig zu. »Wir haben miteinander Schluss gemacht. Nachdem wir uns im Taxi beinahe an die Gurgel gegangen sind.«
»Dann wart ihr euch ja wenigstens in einem Punkt einig«, erklärt Robyn munter.
Robyn erstaunt mich immer wieder, weil sie es irgendwie schafft, allem etwas Positives abzugewinnen. Ganz gleich, welche Katastrophe sie auch heimsucht, nie ist sie negativ oder pessimistisch. Sie könnte fälschlicherweise in Thailand wegen Drogenschmuggels verhaftet und in ein Gefängnis gesteckt werden, wo niemand auch nur ein Wort Englisch spricht, und sie würde vermutlich erklären, das sei eine ganz wunderbare Gelegenheit, ein bisschen »in mich zu gehen« und eine neue Fremdsprache zu lernen.
»Sieht so aus«, brumme ich und nicke wenig überzeugt.
»Macht dich das fertig?«
Darüber muss ich kurz nachdenken. Tut es das?
»Nein«, sage ich nach kurzem Zögern.
Ich staune über mich selbst und kann kaum glauben, dass ich das sage. Ich dachte, die Sache würde mir viel mehr zu schaffen machen. Ich dachte, ich wäre am Boden zerstört. Denn eigentlich sollte er doch mein Seelenverwandter sein, oder nicht? Der Mann, ohne den ich nicht leben kann. Der Mensch, durch den ich erst vollkommen bin; zwei Hälften eines Ganzen.
Hm, nein, Lucy, das war Jerry Maguire .
»Na, dann ist es ja gut«, trompetet Robyn gutgelaunt. »Eine Trennung ist eine Sache, aber Liebeskummer ist eine ganz andere Nummer.« Und dann verdreht sie die Augen, als wollte sie sagen: Das habe ich alles auch schon durchgemacht, und ich nicke verständnisvoll.
Bloß habe ich diesmal überhaupt keinen Liebeskummer. »Ich glaube,ich stehe noch unter Schock«, gestehe ich. »Und ich bin maßlos enttäuscht. Er ist nicht der Mensch, für den ich ihn gehalten habe. Aber das war bei mir wohl nicht anders.« Nachdenklich betrachte ich mein Eishörnchen. Mein Trotz ist mit dem Eis zusammen dahingeschmolzen. »Ich war in ein Hirngespinst verliebt. Eine Idealvorstellung von ihm. In den, der er in meiner Vorstellung war. Der er früher einmal war.«
Ich denke quasi laut, während ich mir alles durch den Kopf gehen lasse. Die vergangene Woche kommt mir fast vor wie ein Traum. Umhüllt von dichtem Nebel. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Es ist alles so schnell gegangen, dass ich überhaupt nicht dazugekommen bin, mal durchzuatmen und einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wollte auch gar nicht darüber nachdenken. Ich habe mich wieder Hals über Kopf verliebt, und das war ein unbeschreibliches Hochgefühl. Ihn wiederzusehen. Zu erfahren, dass er mich immer noch liebt. Wir haben uns beide einfach mitreißen lassen. Und keinen Gedanken daran verschwendet, dass wir uns womöglich in einen ganz anderen Menschen verlieben. Wie eine Woge hat uns die Begierde, die Macht des Augenblicks, das Prickeln und Kribbeln mitgerissen; es war wie ein Sprung ins wilde Meer.
Und jetzt erst komme ich wieder zum
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