Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)
beschrieben hatte.
Aber vielleicht las ich auch einfach die falsche Zeitung. Ob der Fall es bis in
die Bildzeitung geschafft hatte?
Ich wühlte
mich chronologisch durchs Papier, ehe ich es nach und nach in die Badewanne warf.
Mitte August tauchte der Fall Pankowiak im Stadtspiegel schon gar nicht mehr auf
und Banalitäten wie eine baustellenbedingte Straßensperre oder das kulinarische
Stadtfest rückten in den Vordergrund. Selbst die überregionalen Schlagzeilen des
Spätsommers waren kaum ein Wimpernzucken wert, fanden aber mit der Nachricht über
den Doppelselbstmord eines nach Bonn berufenen Exdiplomaten und seiner Frau Ende
September ihren dramatischen Höhepunkt. Die Nachricht reichte von einer Zeitungsecke
in die andere, was nicht sonderlich überraschend war. Eduard Schwarzinger galt nicht
nur als aufstrebender Politiker. Er hatte sich außerdem einen äußerst plakativen
Ort für die Selbstmorde ausgesucht: sein Büro im Düsseldorfer Landtag. Ich durchsuchte
die jüngeren Blätter nach Erkenntnissen hinsichtlich des Motivs, doch alles, was
ich fand, war eine Aussage des Polizeisprechers, dass man davon absehe, Inhalte
aus dem Abschiedsbrief zu veröffentlichen. Danach trauerte die Medienwelt um Tony
Curtis, eine Woche später gab es die besten Rezepte zum Erntedankfest.
Was hatte
Brülling damit gemeint, Gregor Pankowiak wäre Teil der ›Familie‹? Sollte es als
eine Metapher für die hiesige Polizeifamilie zu verstehen sein, welcher Gregor ja
fraglos vor ewigen Zeiten angehört hatte? Es klang ein wenig müßig in meinen Ohren
und erinnerte an kriminelle Familien oder Organisationen wie die Cosa Nostra oder
die Yakuza, aber es würde zu Guido Brüllings verquerem Schubladendenken passen.
Ich warf
die letzte Zeitung in die Wanne, mühte mich hoch und schlich mit vor Erschöpfung
geschwollenen Froschaugen zurück ins Bett. Schlammige Schuhabdrücke trockneten am
Bettende, ein müffelnder feuchter Fleck verzierte die Daunendecke dort, wo Brülling
gesessen hat. Ich krabbelte unter die Decke und rieb mir die Augen. Meine Fingerspitzen
rochen nach Druckerschwärze.
Eigentlich
hatte ich meine Rückkehr ganz anders geplant.
Denn auch,
wenn andere es in Zweifel zogen: Mein Urlaub in Balatonfüred diente nicht nur dazu,
mir am schattenlosen steinigen Ufer tagein, tagaus das Hirn von der Sonne weichbrutzeln
zu lassen. Ich wollte die Abgeschiedenheit nutzen, um mir klar darüber zu werden,
was ich von einem perfekten Leben erwartete – und was ich selbst dazu beitragen
konnte, damit dieses Lieblingsleben tatsächlich in Erfüllung ging.
Das Gröbste
lag bereits auf der Hand: Neuer Job, neuer Freund, neue Wohnung. Mit roten Tapeten
und einem weiß gekacheltem Bad. Als Freund hatte ich mir einen Blonden ausgemalt;
ohne Bart, ohne Nikotinsucht und irgendwo in der Privatwirtschaft tätig. Er durfte
ruhig ein paar Zentimeter kleiner sein als ich. Was meinen Job anging, so war ich
in meinen Fantasien außerordentlich flexibel. Ich konnte mir alles vorstellen, solange
sich er nichts mit Toten, potenziell Toten oder Krankenversicherungen zu tun hatte.
Porno wäre ebenfalls nichts für mich. Und wenn ich es mir recht überlegte, wollte
ich auch nicht in einem Fast-Food-Restaurant die Fleischklopse wenden. Oder die
Toiletten an Bahnhöfen putzen. Oder in einem Modegeschäft die von Kunden zerknüllten
Pullover neu falten. Das wäre wirklich der reinste Horror für mich, vielleicht noch
schlimmer als Porno.
Aber seit
ich wieder zu Hause war, schien alles aus dem Ruder zu laufen.
Mental hatte
ich längst mit Metin abgeschlossen und war bereits auf dem Sprung, den Arge-Zimmerwächtern
auf der Universitätsstraße die Füße zu massieren, um mir ein paar Dollar bei Onkel
Hartz zu verdienen, solange der passende Job ohne Tote, Porno und kleinkriminelle
Machenschaften für mich nicht herausspringen wollte. Stattdessen grinsten mich nun
die fleischig-runden Fußstapfen eines kleinkriminellen Exhobby-Pornoproduzenten
an, in ebendiese reinzutreten und ein völlig verkorkstes Geschäft zu übernehmen,
das für nichts anderes gut war, als ein noch viel größeres und verkorksteres Geschäft
zu verschleiern. Bei dem Gedanken vergaß ich für einen Augenblick, warum ich überhaupt
darüber nachdachte, mich diesem Himmelfahrtskommando anzuschließen. Doch dann fiel
es mir wieder ein: Ich wäre der Boss. Ich hätte einen eigenen Schreibtisch
und könnte andere die Drecksarbeit machen lassen. Ich könnte aufstehen und gehen,
wann
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