Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)
braunen
Steinen geziegelt, die aus der Ferne wirkten, als seien sie aus Holz. Das gut zehn
Meter hohe Eingangstor war dreigeteilt, gespalten von zwei schlanken, viereckigen
Mauersäulen. Die ähnlich hohe Eingangstür war aus schwarzem Metall gefertigt, die
mich postwendend zu Brei geschlagen hätte, wäre sie aus den Angeln geraten. Sie
war geschlossen; die Trauerzeremonie war bereits in vollem Gange. Ich wagte ein
paar Schritte die breiten Stufen hinauf, was nicht unbemerkt blieb, da zu meinen
Flanken jeweils drei mit Schwert und Speer bewaffnete Steinskulpturen überlebensgroß
auf mich hinunterstarrten. Ich sah ihnen entgegen. Die aufgerichteten Brustwarzen
der vorwiegend nackten Steinfrau irritierten mich.
Ich drückte
ein Ohr gegen die mit unzähligen Fenstern gespickte Tür. Eine männliche Stimme nuschelte
durch die Scheibe. Dann erfüllten Orgelklänge sowie das Poltern zahlreicher rutschender
Stuhlbeine die Halle und ich suchte Schutz hinter einer nahestehenden Trauerweide.
Wenige Minuten später knarzten die riesigen Scharniere, die Tür schlug wie ein monströser
Flügel auf und ein Trauerzug, dessen Umfang, Fülle und Facettenreichtum mir die
Tränen in die Augen trieb, machte sich auf den Weg zu Arthur Brüllings letzter Ruhestätte.
Arthurs Leichnam war in einen schwarzen Sarg mit silbernen Beschlägen gebettet worden,
dessen Lackierung mondän in der trüben Herbstsonne funkelte. Ein aus weißen Lilien
gefertigter Blumenschmuck zierte die Mitte des Sargdeckels. Die Blüten federten
beschwingt im Rhythmus der Schritte jener sechs Männer, die den Sarg geschultert
hatten. Ihnen folgten schätzungsweise 40 trauernde Individuen, Zivilisten wie Polizisten,
welche dem Verstorbenen in ihren besten Uniformen das letzte Geleit gaben. Ich hatte
den Eindruck, sie versuchten, ihre Schritte in Einklang mit dem Glockengeläut zu
bringen, gaben die Bemühungen jedoch bald wieder auf. Mein Magen drückte sich gegen
meine Bauchdecke und verbreitete ein beklemmendes Gefühl. Ich versuchte, ein paar
bekannte Gesichter auszumachen. Doch alles, was ich auf Anhieb identifizieren konnte,
war Ilona Brüllings rot geweintes Gesicht, welches dürftig mit einer schwarzen,
vom Hut herunterbaumelnden Spitze verschleiert war. An ihrer Seite schritt ein weißhaariger
vollbärtiger Mann. Sein Rücken war steif, seine Mimik von Stolz und Würde verzerrt,
penibel darauf achtend, nicht zu viel Trauer durch die Poren zu lassen.
Die Brülling’sche
Hakennase war unübersehbar. Es musste Arthurs Vater sein.
Ich sah
dem Marsch noch eine Weile nach. In einem respektablen Abstand folgte ich dem Zug
bis zu der ausgehobenen Grabstelle und versteckte mich einige Meter entfernt hinter
dem wuchtigen Stamm einer alten Eiche. Ich beobachtete die Menge, wie sie sich um
das Erdloch zu sammeln begann, und sah glücklicherweise nur bedingt die leidvolle
Szene mit den Seilen und dem Sarg, als dieser in die Erde herabgelassen wurde. Dennoch
entgingen mir die zitternden Schultern nicht – sowie jene Taschentücher, die ausgefaltet
wurden, um Tränen aus den Gesichtern zu wischen. Eines von ihnen gehörte Edgar Ansmann.
Ich fand ihn am Rande des familiären Geschehens. Er trug einen adretten schwarzen
Einreiher sowie ein reinweißes Hemd ohne Krawatte. Dass ihm die Veranstaltung die
Tränen aus den Augen drückte, überraschte und überwältigte mich zugleich, hatte
er doch steif und fest behauptet, er würde diesen Mann so gut wie gar nicht kennen.
Das Unwohlsein
in meinem Magen begann auf meine übrigen Eingeweide überzugreifen und ein eigenartiger
Geschmack überzog meine Zunge. Die Zeremonie fand ihren Abschluss, als sich die
Trauernden bemühten, eine Schlange zu bilden, um nacheinander eine Schaufel voller
Erde auf den Sarg zu werfen. Ich ertappte mich dabei, wie ich eine zähe Träne aus
meinem rechten Augenwinkel wischte, erinnerte mich aber schnell wieder daran, dass
ich beruflich hier war, und stierte blindlings durch die Veranstaltung hindurch.
Etwa zehn
Minuten später löste sich die Gruppe allmählich in sämtliche Himmelsrichtungen auf.
Ich wurde langsam unruhig, spürte jedoch bald eine sich nähernde Gestalt in meinem
Rücken und drehte mich um.
Ein groß
gewachsener Trauergast hatte sich an mich herangeschlichen. Er trug ein nachtschwarzes
Dinnerjacket, sein weißes Hemd war akkurat bis über das Brustbein zugeknöpft. Seine
kurzen braunen Haare zeigten entlang der Ohren leichte Andeutungen von Locken. Das
Gesicht war glatt
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